Pete Agnew von Nazareth
(25.04.2010, Interview geführt von maddin)
Noch vor dem ersten Deutschland Gig dieses Jahres nahm sich Nazareth Bassist Pete Agnew für eine zweiköpfige Squealer – Rocks Delegation Zeit, um Rede und Antwort zu stehen. In einem Wuppertaler Hotel wurde aus einem geplanten halbstündigen Interview eine gut 70 – minütige Plauderei mit einer absolut bodenständigen und höchst sympathischen Rock – Legende.
Das wir unter diesen Umständen eine etwas gekürzte Zusammenfassung präsentieren, dürfte jedem verständlich sein.
Obwohl die Band den Trip nach Germany unter widrigen Bedingungen (Fähre verpasst, Drummer Lee Agnew laborierte noch an den Folgen einer Lebensmittelvergiftung) absolvierte, beginnen Petes Augen sofort zu strahlen, als die Frage gestellt wird, ob man Deutschland ein bisschen wie eine zweite Heimat sieht.
„Alle in der Band lieben Deutschland, ganz ehrlich! Wenn wir die ganze Zeit zusammen rechnen, die wir während unserer Karriere schon hier verbracht haben, kommen schnell ein paar Monate, wenn nicht Jahre zusammen. Wir haben hier sehr viele Freunde, außerdem ist immer alles so schön sauber hier. Das Essen ist toll, das Bier natürlich auch, und man kann nachts sicher durch die Straßen gehen, ohne Angst zu haben, dass man überfallen wird“.
Auch durch unseren Einwand, dass dies in Städten wie Wanne – Eickel sicherlich nicht der Fall ist, lässt sich die schottische Frohnatur nicht von seiner Lobeshymne auf Good old Germany abbringen und lediglich die „fucking Staus“ erregen seinen Unmut.
Apropos Deutschland, was sagt Pete zu den bandexternen Aktivitäten von Sänger Dan McCafferty, der im Rahmen der „Rock meets Classic“ - Tour gemeinsam mit Lou Gramm (Ex- Foreigner) und Bobby Kimball (Ex – Toto) durch Germanien tingelte?
„Ich war bei der Show in Frankfurt dabei und fand es wirklich toll“, schwärmt er.
„Das Orchester, die Band, da passte einfach alles. Das Konzert wird auch demnächst als DVD erscheinen“.
Kann er sich so eine Orchester – Geschichte auch für Nazareth vorstellen? Schließlich funktionierten selbst harte Rocker wie „Hair of the Dog“ oder „Razamanaz“ hervorragend mit der klassischen Begleitung?
„Wir haben das bereits einmal gemacht. Anfang der 90er nahmen wir als Soundtrack für den Fernseh – Mehrteiler „Scarlett“ „Love Hurts“ mit Orchester – Begleitung auf. Die Aufnahmen fanden damals in München statt. Als wir dort ankamen, fand gerade das „Bierfest“ oder so (er meint „Oktoberfest“) statt. Statt sofort ins Studio zu gehen, wie es eigentlich geplant war, sind wir erstmal dorthin und haben ein paar Bierchen gezischt. Als wir dann ins Studio kamen, waren alle total entsetzt. Noch entsetzter waren sie allerdings, als wir den Song in nur einem einzige Take im Kasten hatten. Der Produzent konnte das nicht glauben, doch ich habe ihm nur gesagt, dass Nazareth seit 35 Jahren so arbeiten“.
Sagt's, zuckt mit den Schultern, nimmt einen Schluck Bier und fährt fort:
„Doch zurück zu Dans Geschichte. Sein Engagement bei dieser Sache ist auch der Grund, weshalb wir keine Zeit hatten, eine neue Setlist zu proben. Unser Terminplan ist so eng gestrickt, dass Dan direkt nach dem letzten „Rock meets Classic“ Gig, schnell ins Flugzeug stieg, da er am Tag darauf mit uns in England auf der Bühne stehen musste. Deshalb spielen wir bis auf minimale Änderungen den gleichen Set wie im letzten Jahr.“
Das Thema Setlist brennt uns sowieso auf den Nägeln. Weshalb klammern Nazareth stets die letzten - allesamt hervorragenden – Alben nahezu aus? Nichts gegen die Klassiker aus den 70ern, aber Songs wie „Demon Alcohol“, „Party at the Kremlin“ oder „Backroom Boys“ sind doch nicht weniger gut und würden auf der Bühne einwandfrei funktionieren.
Pete denkt kurz nach und nennt uns aus dem Stegreif einige Daten, an denen man die genannten Songs sehr wohl schon mal live dargeboten hätte.
Nach unserem Einwand, dass diese Songs nur Beispiele wären und es uns prinzipiell stört, dass man tolle Alben wie „Boogaloo“, „Cinema“, „No Jive“ oder „Move Me“ zugunsten der übermächtigen 70er Songs vernachlässigt, entsteht eine lebhafte Diskussion, die Pete schließlich höflich, aber bestimmt so beendet: „Ich kann dich ja verstehen, aber wir können nun mal nicht aus unserer Haut. Sicher würde es einige Fans freuen, mal mehr andere Songs zu hören, aber der Großteil des Publikums kommt nun mal wegen der großen Hits, und die hatten wir fast alle in den 70ern. Wir können es nicht riskieren, dass ein hoher Anteil der Leute unzufrieden nach Hause geht, weil sie nicht das bekommen haben, was sie erwartet haben.“
Wie sehr Mr. Agnew dennoch hinter dem neueren Material steht, wird deutlich, als das Gespräch auf das 2008 erschienene „The Newz“ kommt. Unserer Meinung nach eine Scheibe, die locker in die Top Ten der Band gehört.
„Ja, auf jeden Fall“, stimmt er enthusiastisch zu. „Ich liebe das Album wirklich. Und das behaupte ich nicht, weil man ja immer sagen muss, dass das aktuelle das beste ist. Wir haben auch nur positive Reviews bekommen. Ich glaube sogar, dass noch kein Nazareth Album überhaupt, so viele einstimmig hervorragende Kritiken bekommen hat.“
Der große Vorteil von „The Newz“ ist sicherlich die Abwechslung.
„Ja, das liegt daran, dass es ein echtes Band - Album ist. Es war jeder am Songwriting beteiligt und die modernen Einflüsse haben halt die beiden Jungen beigesteuert“.
Und wie sieht es in Sachen nächstes Album aus? Gib es überhaupt noch eins?“
„Na, klar. Im September gehen wir in Prag ins Studio und so etwa im Februar 2011 soll das Teil dann erscheinen.“
Und wie wird es klingen?
„Ach, das ist 'ne blöde Frage“, schmunzelt der Bassist. „Wie soll es schon klingen? Das kann ich dir jetzt sowieso noch nicht sagen. In den nächsten Monaten sind wir noch reichlich unterwegs, mal sehen, was da so für Songs entstehen.“
Bleibt also noch die logische Frage nach dem besten Nazareth Album überhaupt.
„Razamanaz“ finde ich schon sehr stark, außerdem hat es uns damals den Durchbruch beschert. Da hat man dann natürlich besonders schöne Erinnerungen. Weiterhin würde ich evtl. „Close enough to Rock'n'Roll“ nennen. Im Grunde ist das aber sehr schwer zu beantworten.“
Das bei den Fans unbeliebteste Album ist sicherlich „The Catch“.
„Völlig zurecht, ich mag es auch nicht. Weder die poppige Produktion, noch die Songs. Lediglich „This Months' Messiah“ ist ein gutes Stück. Das spielen wir ab und zu auch noch Live. Doch selbst den Song mag ich der Albumversion überhaupt nicht.“
Das Thema gibt mir endlich die Möglichkeit, eine Frage zu stellen, die nur Pete Agnew beantworten kann und die mich seit Jahrzehnten umtreibt: Was bedeutet eigentlich „Razamanaz“?
Im Wörterbuch findet man keine Übersetzung dazu.
Wider Erwarten fängt der Mann nicht an zu lachen, sondern beginnt sofort mit einer ernsthaften Erklärung:
„In den 20er Jahren, den „Golden 20s“, wurde ja viel und oft gefeiert. Wenn die Stimmung richtig gut war, feuerten die Pianisten die feiernden Menschen mit dem Satz „Let's Razamataz“ an. Da heisst in etwa: „Let's have a good Time“.
Es ist also ein antiquierter Ausdruck, den wir in bester Nazareth – Manier eben in „Razamanaz“ umbenannt haben. Im Grunde also ein Fantasiewort.“
Nazareth sind jedes Jahr mehrere Monate auf Tour. Dazu kommen diverse TV – Auftritte und eben auch noch Studioaufenthalte. Was macht Pete Agnew, wenn er mal frei hat? Kann er komplett abschalten und mal nicht an Nazareth denken?
„Die anderen können das, ich nicht“, sinniert der 63 – jährige. „Dadurch, dass ich auch noch fürs Management der Band zuständig bin, habe ich natürlich meistens irgendwas zu tun und zu regeln.
Ein schöner Sommerurlaub kommt auch nicht in Frage, weil wir dann immer auf den Festivals spielen. Und in unserem Heimatort Dunfermine sind wir natürlich bekannt wie bunte Hunde. Wenn ich also durch unsere Stadt gehe, werde ich meistens auf Nazareth angesprochen, auch wenn ich gerade mal gar keine Lust darauf habe. Doch das sind schließlich alles Leute, mit denen ich aufgewachsen bin, also begegne ich ihnen immer mit dem nötigen Respekt und so richtige Arbeit ist das ja auch nicht“, lacht er und beschreibt den perfekten Urlaubstag wenig spektakulär mit „einfach den ganzen Tag auf der Couch liegen.“
Auch wenn's nervt, kann man sich die Frage nach einer „Farewell“ - Tour natürlich nicht verkneifen. Für Pete jedoch kein Thema.
„Die Veranstalter, ganz besonders die in Kanada, drängen uns schon seit Jahren, wir sollen die jeweilig nächste Tour „Abschiedstour“ nennen, das bringt mehr Zuschauer. Doch das kann ich nicht, dann würde ich ja lügen!“, entrüstet sich der Mann mit entwaffnender Ehrlichkeit.
„Ich bin jetzt 63 Jahre alt, aber ich fühle mich nicht so.“
Auf die Frage, ob er sich selbst nicht doch einen Zeitpunkt gesetzt habe an dem Schluss sein soll, erwidert er erneut glaubhaft: „Nein. Ich kann mir auch nicht vorstellen, in Rente zu gehen. Was soll ich denn den ganzen Tag machen? Sollte jemand in der Band krank werden, hören wir auf. Wir werden keinen Besetzungswechsel mehr vornehmen. Doch im Moment sieht es so aus, als würden wir noch ein paar Jährchen weitermachen.“
Gut zu wissen.
Soweit also unsere Zusammenfassung eines tollen Gesprächs mit Pete Agnew. Auch, nachdem das Aufnahmegerät längst abgeschaltet war, plauderte der coole Schotte noch mit uns u.a. über die unverschämten Bierpreise in Deutschland, den Euro,diverse Festivals, Deep Purple, seine 5 Söhne und den Vorteil, bei dem Konzert mit Foreigner und Saga in Hamburg als Co – Headliner zu fungieren („...bei uns sind die Leute noch wach... um halb zehn von der Bühne, um Viertel vor Zehn an der Bar..“).
Squealer – Rocks bedankt sich für dieses tolle Erlebnis, mit einer lebenden Legende zu sprechen, ganz besonders bei Niels von Oktober Promotion für die spontane (Um -)Organisation, dem Tourmanager Tom und natürlich bei Pete Agnew für seine Zeit und die (teuren) Biere.
DISCOGRAPHY:
1971 - Nazareth
1972 - Exercises
1973 - Razamanaz
1973 - Loud'N'Proud
1974 - Rampant
1975 - Hair of the Dog
1976 - Close Enough for Rock'n'Roll
1977 - Playin' the Game
1977 - Expect no Mercy
1979 - No Mean City
1980 - Malice in Wonderland
1981 - The Fool Circle
1981 - It's Snaz (live)
1982 - 2XS
1983 - Sound Elixir
1984 - The Catch
1986 - Cinema
1989 - Snakes'N'Ladders
1991 - No Jive
1994 - Move Me
1998 - Boogaloo
2001 - Home Coming (live)
2008 - The Newz
2009 - The Anthology
2011 - Big Dogz
2011 - The Naz Box
2014 - Rock'n'Roll Telephone
2018 - Tattooed on my Brain
SQUEALER-ROCKS Links:
Nazareth - The Newz (CD-Review)
Nazareth - The Anthology (2 CD) (CD-Review)
Nazareth - Rampant (CD-Review)
Nazareth - The Remastered CD's (CD-Review)
Nazareth - Expect No Mercy/No Mean City (remastered) (CD-Review)
Nazareth - Malice In Wonderland/The Fool Circle (CD-Review)
Nazareth - It's Snaz (Remastered Edition) (CD-Review)
Nazareth - Big Dogz (CD-Review)
Nazareth - 2XS/Sound Elixir (Remastered) (CD-Review)
Nazareth - The Catch/Cinema (Remastered) (CD-Review)
Nazareth - The Naz Box (4 CD Set) (CD-Review)
Nazareth - Rock'n'Roll Telephone (CD-Review)
Nazareth - Tattooed on my Brain (CD-Review)
Nazareth - Nürnberg, Hirsch (Live-Review)
Nazareth und Sinwell - Nürnberg, Hirsch (Live-Review)
Nazareth - Solingen, Getaway (Live-Review)
Nazareth - Essen, Weststadthalle (Live-Review)
Nazareth - Wuppertal, Börse (Live-Review)
Uriah Heep und Nazareth - Oberhausen, Turbinenhalle (Live-Review)
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