Chris Klapper von Custard
(23.08.2006, Interview geführt von Jack)
Knapp 20 Jahre im Geschäft und noch immer heiß auf jedes Konzert. Die Rede kann eigentlich nur von der Speed Melodic Combo Custard aus dem kohlenpöttischen Herne sein. Exakt – mit der Ankunft des Tour-Packages Sabaton & Custard in der Röhre zu Stuttgart schnappte sich SQUEALER.net Redakteur The Jack Stunden vor der Show Ur-Schlagzeuger Chris Klapper und plauderte mit ihm auf der gemütlichen Couch im Tourbus über die laufende Tournee, seine Band, den Headliner Sabaton und bestätigte dabei ein kursierendes Gerücht.
Nein, schocken kann man solch einen ausgebufften Metaller, wie Chris Klapper einer ist, mit nichts. Nicht einmal damit, dass Slayer mit ihrer CHRIST ILLUSION auf Platz zwei der deutschen Albumcharts eingestiegen sind. „Mit dem habe ich gerechnet, nachdem sie das Interesse mit Ankündigungen und dem langen Verzug immer mehr auf sich gezogen haben.“
Sagt einer, der seit nahezu 20 Jahren der harten Gitarrenmusik treu geblieben ist und trotz Beruf und Familie die Band Custard ständig weiterentwickelt hat. Zwei Dekaden Custard, wie kann es dann sein, dass mit SIGNA INFERRE erst im Jahr 1997 ein erstes Album auf die Beine gestellt wurde? „Nun ja, hätte mir vor 20 Jahren jemand gesagt, dass wir mit Custard so weit kommen, ich hätte ihn für nicht ganz richtig gehalten. Als wir die Band gründeten standen Alben und ähnliches nicht zur Debatte. Erst im Laufe der Zeit hat man dann mal gesagt: Lasst uns das Ganze doch professioneller machen. Und so wurde aus der Vollrauschidee ein Act, der stetig weiterstrebt.“
So kam es auch, dass man sich im Zuge der WHEELS OF TIME Veröffentlichung lange überlegt hatte, ob und welches Angebot der Labels man annehmen kann. Am Ende entschloss man sich für das belgische Label Mausoleum Records, denn – und das stellt Chris deutlich klar: „Wir haben alle Jobs, wenden unsere Freizeit für Custard auf und stehen im Gegensatz zu Sabaton an keinem Punkt, an dem es heißt „make it or break it“.“ „Der Spaß steht definitiv im Vordergrund“, gibt er weiter zu Protokoll, „und solange dieser vorhanden ist, gibt es auch keinen Grund die Band an den Nagel zu hängen.“
Im Vorfeld der Tour mit dem schwedischen Kriegstross von Sabaton gab es bezüglich Custard-Sänger Guido Brieke einige Ungewissheiten, was seine Stimme betrifft, weswegen man auch zwei kleiner Festivals abgesagt hatte. „Das mussten wir tun, damit die Tour nicht gefährdet wurde. Urplötzlich kam der Zeitpunkt, an dem seine Stimme eben nicht mehr so wollte, wie er es wollte. Das hat man erst nicht richtig behandelt und inzwischen muss man schauen, kann er’s oder kann er’s nicht. Wenn letzteres der Fall ist, muss man eben kürzer treten und die Stimme beanspruchenden Nummern weglassen.“ Also immer eine Lotterie mit hoffen und beten? „Nein, natürlich nicht“, macht Chris unmissverständlich klar, „im Notfall haben wir ja immer noch unseren Plan B, der da lautet: Das Ganze ein wenig zurückschrauben, uns (die restlichen vier Bandmitglieder) stärker mit einspannen und dann gibt es ja noch die zweite Seite von Guido: Seine unabdingbaren Showmanqualitäten mit denen er ohne Probleme das Publikum von sich und Custard überzeugt.“ Daher bringt es ihn und die anderen auch keineswegs aus dem Konzept, wenn es mit Guido mal „nicht so läuft“. „Je nachdem wird dann auch die grob feststehende Setliste on-stage noch einmal spontan überarbeitet.“
Demnach sieht der Fahrplan für den Rest des Jahres auch so aus, „dass wir ab September alle Live-Aktivitäten einstellen werden, so dass sich Guido hoffentlich wieder sammeln kann und wir danach auf ein neues Album hinarbeiten können.“ Neues Album ist übrigens ein gutes Stichwort, für wann kann man mit einem WHEELS OF TIME Nachfolger rechnen? „Das Label hätte ein fertiges Produkt am liebsten schon im Februar 2007. Doch dass lässt sich schwer realisieren, da wir mit Oscar (Carsten Reichert) an der Gitarre noch ein neues Mitglied in die Band einzugliedern haben. Da muss sich auch erst einmal wieder eine Rangordnung finden, zumal es bei uns immer ein langwieriger Prozess von der Idee zum finalen Song ist.“ „Andererseits hängt von einem neuen Album auch ab, ob wir bei einigen größeren bis mittelgrößeren Festival auftreten dürfen.“ Der „Neue“, der in diesem Jahr für Karsten Knüppel, der sich aus familiären Gründen zurückgezogen hat, an der Gitarre eingestiegen ist, bringt daher auch frischen Wind in die Band, da er generell eine andere Musik als die bisherige bevorzugt: Dream Theater. Also werden aus den Speed Melodikern noch waschechte Progger? „Wohl nicht, aber wir sind gespannt, was daraus noch alles entsteht.“
Wie beschreibt man jemandem Custard, der noch nie zuvor von dieser Band gehört hat? „Nun ja, auf jeden Fall schnell und melodisch.“ Als Vergleich wird da oft der Name Helloween ins Spiel gebracht, was Holger Simon (Gitarre) ganz und gar nicht gefällt. „Der Holger steht selbst auf das US Power Metal Zeugs und bekommt jedes Mal einen Brechreiz, wenn ihm Helloween als Vergleich untergebuttert werden. So zum Beispiel auf einem Festival in den Niederlanden, als ihn nach der Show ein Fan mit Worten angesprochen hat: „Es war großartig, insbesondere, da es mich an Helloween erinnert hat.“ Er hätte kotzen können.“ Chris selbst sieht den Querverweis mit Helloween nicht so dramatisch „Es ist das Naheliegendste“ und outet sich selbst als Fan von Weikath un Co.: „Ja, das ist schon die Musik, auf die ich stehe, jedoch nur die alten Helloween. Den Deris kann ich nicht ab, der ist mir zu weich für diese Band.“
Derzeit befindet sich, wie berichtet, die Band auf der Attero Dominatus Tour mit Sabaton. Darüber hat der glatzköpfige Schlagzeuger Erstaunliches zu berichten: „Ja, die Tour läuft bisher sehr gut. Besser als erwartet sogar. Sabaton müssen ein richtiger Geheimtipp gewesen sein, denn die Locations sind sehr gut besucht – proppevoll zum Teil sogar.“ Organisiert wird das ganze schwedisch-deutsche Dingens von der Blue Steel Agency Bookingfirma um Volker Raabe. „Der Volker ist keiner der typischen Tourmanager, die die Bands auf Tour schicken und selbst im Büro verweilen. Er steht hinter der ganzen Sache, supportet die Bands, für die es ihm richtig erscheint und begleitet sie dann auch auf Tournee.“ Auf so eine gelungene, mit nichts vergleichbare, Tour kann man auch mal mit dem Redakteuren anstoßen (*kling*).
Mit den Senkrechtstartern von Sabaton beschäftigte er sich nach eigenen Worten erst wenige Wochen vor Tourbeginn. „Man muss ja wissen, mit was man es zu tun hat. Und ich muss sagen, dass die Jungs es wert sind, dass sie nach zwei Alben auf Headliner-Tour gehen. Sie ziehen ihr Ding konsequent durch, geben auf der Bühne alles und wollen auch einiges erreichen.“ Gleichzeitig betont Chris aber, dass „sie zu keiner Zeit abgehoben oder arrogant rüber kommen. Was das betrifft, sind sie auf dem Boden geblieben und sind ganz nette, unterhaltsame Tourbegleiter mit denen man auch mal bis mitten in die Nacht feiert. Da gibt es keinerlei Schwierigkeiten untereinander. Beispielsweise kümmert sich deren Schlagzeuger um den Aufbau und ich tätige den Abbau. Alles perfekt geregelt. Man kommt sich vor wie in einem Kindergarten oder Pfadfinderlager mit Freunden, die man schon lange kennt.“ Also kein Gerücht über die Trinkfestigkeit der Schweden. „Ganz sicher nicht, aber wir halten gut mit.“ Auf die Frage nach einem Lieblingssong von den kriegerischen Schweden kann er sich nicht auf einen einzigen beschränken. Wie auch bei dieser Klasse. „Mit Sicherheit die beiden Titelstücke „Primo Victoria“ und „Attero Dominatus“, sowie „Panzer Battalion“, ihre Eröffnungsnummer und die kultigen „Metal Machine“ und „Metal Crüe“.“ Zur Machart der „Metal“-Songs, bei denen Song- bzw. Bandnamen einen Text formen, sagt er kurz und prägnant: „Das hätte von uns stammen können.“ Zum Thema „Metal-Kindergarten“ hat er auch noch eine witzige Anekdote parat: „Bei unserem Auftritt bei besagtem Festival in Holland gab es unweit vom Gelände entfernt eine Art Ballermann-Party, welche wir alle zusammen überfallen haben.“
Chris Klapper selbst sieht dem baldigen Tourende mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen: „Einerseits würde ich liebend gerne trotz des Berufs und der Familie mit den Schweden weiter touren, andererseits ist es wichtig, dass Guido endlich eine Pause bekommt.“
Im nächsten Jahr steht das 20-jährige Jubiläum von Custard an. „Vor dieser Sause habe ich jetzt schon Angst, aber wir werden sicher etwas auf die Beine stellen. Ein Festival mit befreundeten Bands oder so etwas Ähnliches.“ Bis November haben sie noch Zeit sich etwas zu überlegen. In diesem Sinne, „Shine On“!
DISCOGRAPHY:
1997 - Signa Inferre
1998 - God of Storm
1999 - Kingdoms of your Life
2000 - For my King
2005 - Wheels of time
2008 - Forces Remain
2012 - Infested by Anger
2017 - A Realm of Tales
SQUEALER-ROCKS Links:
Custard - Wheels Of Time (CD-Review)
Custard - Forces Remain (CD-Review)
Custard - Infested by Anger (CD-Review)
Custard - A Realm of Tales (CD-Review)
Sabaton und Custard - Stuttgart, Die Röhre (Live-Review)
Stormrider, Custard - Herne, Haus der Jugend (Live-Review)
Thunder Rider, Vortex, Custard, The Claymore - Datteln, RUZ (Live-Review)
Custard - Forces Remain - 10.10.2008, Helvete, Oberhausen (Live-Review)
Mercenaries Metal Meeting - Datteln, RAZ (Live-Review)
Skapa Flöw und Custard - Waltrop, Yahoo (Live-Review)
Civil War + Custard - Bochum, Matrix (Live-Review)
Rage + Custard + Red Gin - Lünen, Lükaz (Live-Review)
Chris Klapper von Custard (Interview)
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