Freddy Scherer von Gotthard
(06.12.2005, Interview geführt von Maddin)
Trotz vergangener Ausflüge in den „Hausfrauen – Rock“ waren Gotthard live immer eine feste Größe und haben niemals auch nur Mittelmaß abgeliefert. Mit der Granate „Lipservice“ im Rücken sind die Konzerte nun noch eine Ecke besser geworden.
Im Vorfeld des viel umjubelten Auftritts in Herne hatte ich die Möglichkeit, mich mit dem sehr auskunftsfreudigen und super sympathischen Gitarristen Freddy Scherer zu unterhalten.Squealer.net: Freddy, erste Frage natürlich: Hat der Bus diesmal durchgehalten? Ihr seid ja bisher zweimal liegen geblieben.
Freddy Scherer: (lacht): Ja, diesmal ging alles gut. Aber die erste Panne hatten wir noch vor dem ersten Auftritt. Du weißt, dass Du eine lange Tournee vor Dir hast, und auf einmal heißt es nachts um drei: Der Bus ist kaputt, Ihr müsst mit dem Taxi nach Paris, dann mit dem Flugzeug nach England, dort mit dem Taxi weiter…das war schon sehr belastend.
Squealer.net: Ihr seid ja nun schon 2 Monate quer durch Europa unterwegs. Ist das nicht sehr anstrengend?
Freddy Scherer: Eigentlich nicht so sehr. Das Allerwichtigste ist, dass die Stimmung der Leute untereinander harmoniert. Wenn zwischen den Bandmitgliedern und der Crew die Chemie nicht stimmt und es untereinander Reibereien gibt, dann kann so eine Tour schon sehr ermüdend sein. Wenn man sich aber arrangiert und jeder auch einen gewissen Freiraum für sich behält, dann ist das eigentlich kein Problem. Der größten Belastung ist sicherlich immer der Sänger ausgesetzt, weil er höllisch aufpassen muss, dass er sich nichts einfängt. Von den 20 Leuten die wir sind, war bestimmt schon die Hälfte erkältet. Da muss der Sänger sich dann schon etwas absondern. Ich als Gitarrist kann auch mit einem Schnupfen auf die Bühne gehen, aber beim Steve stehen da gleich 2 – 3 Konzerte auf dem Spiel.
Squealer.net: Wie sind die bisherigen Resonanzen bei der Tour?
Freddy Scherer: Von gut, über sehr gut, bis „übergut“. Der absolute Hammer bisher war Spanien, da haben wir nicht mit gerechnet, weil wir vorher noch nie dort waren. Fast alle Konzerte waren ausverkauft, in Madrid standen sogar 300 Leute noch draußen vor der Tür, weil die Halle voll war. Auch das Publikum dort hat uns total abgefeiert. Nach dem Auftritt kamen wir fast nicht mehr zum Bus, weil uns die Fans dermaßen bedrängt haben.
Squealer.net: Und wie lief es bis jetzt hier in Deutschland?
Freddy Scherer: Auch sehr gut. Wir haben einen Schnitt von etwa 1500 Leuten, womit wir sehr zufrieden sind. Heutzutage kannst Du echt froh sein, wenn Du über 1000 Zuschauer am Abend hast. Wobei im Norden grundsätzlich 300- 400 Fans weniger pro Auftritt kommen als im Süden.
Squealer.net: Apropos Norden. Wie kam es zu dem gemeinsamen Gig mit Status Quo in Emden?
Freddy Scherer: Aus genau dem Grund. Es wurden im Vorverkauf zuwenig Tickets abgesetzt und da hat man uns gefragt, diesen einen Auftritt mitzuspielen. Ansonsten hatten Status Quo keine Probleme Karten zu verkaufen. Keine Ahnung, was da oben abgeht.
Squealer.net: Na, da wohnen halt weniger Leute.
Freddy Scherer:(lacht) Ach, so. So gut kenne ich mich als Schweizer ja hier nicht aus.
Squealer.net: Was war denn in Budapest los? Dort ist es ja zu einer handfesten Auseinandersetzung zwischen einem Zuschauer und Eurem Bassisten Marc gekommen.
Freddy Scherer: Grundsätzlich sind die Leute dort enorm enthusiastisch und einige trinken auch sehr gerne sehr viel. Da gab es dann halt jemanden im Publikum der meinte, es wäre lustig, wenn er die ganze Zeit unseren Bassisten bespuckt, etc. Irgendwann ist dem Marc halt der Kragen geplatzt, er hat seinen Bass abgeschnallt und in 2 - 3 Sekunden war der Typ auf dem Boden.
Klar, hätte nicht sein müssen. Aber solche Typen verderben den anderen Leuten im Publikum auch den Spass. Sicher, die Fans zahlen Eintritt und haben verdient, eine gute Show zu sehen. Aber ein bisschen Respekt der Band gegenüber gehört auch dazu.
Squealer.net: Hundertprozentig Deiner Meinung! Warum findet die Tour eigentlich erst jetzt statt, obwohl „Lipservice“ schon bald ein halbes Jahr auf dem Markt ist. Ist doch eigentlich sehr ungewöhnlich.
Freddy Scherer: Das lag am VÖ Datum. Im Sommer war keine Tournee machbar, weil wir dort einige Open Airs gespielt haben. Der Gig mit Status Quo war also quasi unser letzter Festival Auftritt, bevor es dann losging. Ist zwar etwas untypisch erst die Festivals zu spielen, ging aber in diesem Fall nicht anders. Im nächsten Jahr geht die Tournee zunächst u. a. in Russland, Lettland, Estland und Japan weiter, bevor wir dann im Sommer wieder einige Festivals bis runter nach Südamerika spielen und anschl. ins Studio gehen, um eine neue Platte zu machen.
Squealer.net: Eine Tournee ist ja immer als Promotion fürs aktuelle Album gedacht. Glaubst Du, Ihr würdet ohne Tour wesentlich weniger verkaufen? Ich behaupte einfach mal, dass so gut wie jeder Fan heute Abend die neue Gotthard Scheibe sowieso schon im Schrank hat.
Freddy Scherer: Ja, in Deutschland, Österreich, Japan und der Schweiz ist das sicherlich so. In Ländern wie Frankreich oder England beispielsweise sind wir aber noch relativ unbekannt. Da musst Du Dir erstmal durch Live Auftritte einen Namen machen. Aber auch hier in Deutschland denke ich, dass wir als Band auch live präsent sein müssen. Eine CD kaufen und gut finden ist eine Sache. Aber für mich macht das nur 50% aus. Wenn ich eine Band mag, dann will ich sie auch live spielen sehen. Das gehört einfach dazu. Ausserdem sind bei jedem Auftritt immer wieder neue Leute dabei, die die Band noch nicht kennen.
Squealer.net: Knapp die Hälfte des Sets heute Abend besteht aus Stücken von „Lipservice“. Warum? Wollt Ihr die Scheibe mit Gewalt promoten?
Freddy Scherer: Nein. Wir haben einfach Lust, die neuen Sachen zu spielen. Es ist ja quasi unser „neues Werk“, auf das wir stolz sind und das wir auch live präsentieren wollen. Zudem muss man auch sehen, wie die einzelnen Stücke bei den Fans ankommen. Was auf Platte gut klingt, muss live nicht auch unbedingt zünden. So haben wir bisher schon 3 – 4 Mal den Set etwas umgestellt, weil einige Stücke nicht so begeistert aufgenommen wurden wie wir gedacht haben. Das bei Sachen wie „Hush“ oder „Mountain Mama“ gute Reaktionen kommen ist klar. Aber bei den neuen Stücken müssen wir alles noch ein bisschen ausloten. Doch so wie der Set jetzt ist, wird er wohl bleiben. Wir haben, glaube ich, die richtige Mischung gefunden.
Squealer.net: Kannst Du Dir erklären, warum „Lipservice“ so eine tolle Scheibe geworden ist? Für mich ist sie zusammen „G.“ das beste Gotthard Album. Erfrischend, aber doch Back to the Roots.
Freddy Scherer: Nun, das hat sich alles aus dem Umfeld heraus ergeben. Wir haben uns jetzt nicht hingesetzt und gesagt, wir machen jetzt wieder eine harte Platte.
Man könnte auch sagen, die Band hat ihren 2. Frühling erlebt. Es gab einen Plattenfirmenwechsel, einen Managementwechsel, Leo und Steve haben ihren eigenen Verlag gegründet. Da kommen ganz viele Komponenten zusammen. Dann noch die Ankündigung, dass wir eine große Tournee durch viele Länder machen, dass das Album in 42 Ländern veröffentlicht wird – das gab uns einen großen Motivationsschub. Und Motivation schlägt sich halt nicht in Balladen nieder. Da fühlst Du Dich wieder jung, da willst Du rocken! Natürlich sind die Balladen sehr wichtig für Gotthard, da sie auch zu den Stärksten auf dem Rock Sektor gehören. Nur sollte es so sein, dass Gotthard eine Rock Band mit ein paar Balladen ist, und nicht eine Balladen Band mit ein paar Rocksongs.
Squealer.net: In der Schweiz habt ihr mittlerweile Euer eigenes Label, ansonsten steht Ihr bei Nuclear Blast unter Vertrag. Hätte sich „Lipservice“ genauso wie jetzt angehört, wenn Ihr noch beim Medienriesen BMG unter Vertrag sein würdet? Oder wäre das Ganze „weichgespülter“?
Freddy Scherer: Das hängt in erster Linie eher mit dem Produzenten zusammen. Wenn wir wie bei „Human Zoo“ wieder einen Amerikaner an den Knöpfen gehabt hätten, würde die Platte sicherlich anders klingen. Mit Leo als Produzenten ist das mehr eine Bandinterne Sache geblieben.
Squealer.net: Habt Ihr schon mit dem Schreiben fürs nächste Album begonnen? Auf Tour habt Ihr doch genug Zeit.
Freddy Scherer: Wir fangen jetzt damit an. Am Anfang einer Tour ist noch zuviel Aufregung im Spiel. Jetzt nach 2 Monaten hat man seinen Rhythmus gefunden, es kehrt etwas Routine ein, da hat man dann den Kopf für neue Ideen frei.
Squealer.net: Mir ist schon in Emden aufgefallen, dass Ihr live wieder wesentlich ungeschliffener zu Werke geht. Dieses „glattpolierte“ ist weg. Ihr versprüht wieder ein richtig rotziges Feeling, wirkt frischer und weniger routiniert. Habt Ihr eine Frischzellenkur gemacht?
Freddy Scherer:(lacht) Nein, das ist einfach die konsequente Umsetzung des frischen Winds, den die Band jetzt spürt. Nicht anderes als die Weiterführung von „Lipservice“ auf der Bühne.
Squealer.net: Einer der großen Höhepunkte Eurer Show ist das doppelte Drum Solo von Steve und Hena. Ansonsten sucht man Solo Eskapaden bei euch vergeblich.
Freddy Scherer: Das Drum Solo bietet den Leuten wirklich was fürs Auge. Es ist keine Selbstdarstellung, sondern, wie du schon sagst, eine Art Showeffekt. Bei uns will sich niemand selbst darstellen und den Leuten beweisen, wie toll er sein Instrument beherrscht. Das wäre fürs Publikum nur langweilig.
Squealer.net: Eure Show dauert gut 2 Stunden….
Freddy Scherer: Ja, aber prinzipiell ist es egal, wie lange eine Show dauert. Es geht darum, was in dieser Zeit geboten wird. Was nützt es, wenn eine Band drei Stunden spielt, aber es ist langweilig?
Squealer.net: Du hast mich unterbrochen, ich wollte eigentlich sagen, dass 2 Stunden Gotthard mindestens 2 Stunden zuwenig sind. Ich halte 4 Stunden für angemessen.
Freddy Scherer:(lacht) Von mir aus gerne. Aber ich weiss nicht, ob unsere Lichttechniker das so toll finden, wenn wir bis 5 Uhr morgens auf der Bühne stehen.
Squealer.net: Letzte Frage: Was hast du dir in letzter Zeit für CDs gekauft?
Freddy Scherer: Oh, da muss ich überlegen. Seit wir auf Tour sind natürlich nichts. Die letzte Foo Fighters und Norah Jones habe ich mir zugelegt.Eigentlich kaufe ich mir nicht so viele CDs. Die alten Sachen wie Led Zeppelin, Whitesnake oder AC/DC hab’ ich eh schon alle. Obwohl es auch viele gute neue Bands, vor allem aus England, gibt. Aber meistens höre ich den alten Kram.
Squealer.net: Dann bedanke ich mich fürs Gespräch und wünsche Euch gleich viel Erfolg auf der Bühne.
Freddy Scherer: Nichts zu danken und viele Grüße an alle Squealer. net Leser.
DISCOGRAPHY:
1992 – Gotthard
1994 – Dial Hard
1996 – G.
1997 – DeFrosted
1999 – Open
2001 – Homerun
2002 – One Life (Best Of)
2003 – Human Zoo
2004 – One Team One Spirit (Best Of)
2005 – Lipservice
2006 - Made In Switzerland - Live In Zürich (CD/DVD)
2007 - Domino Effect
2009 - Need to Believe
SQUEALER-ROCKS Links:
Gotthard - G. (CD-Review)
Gotthard - Human Zoo (CD-Review)
Gotthard - Lipservice (CD-Review)
Gotthard - One Team, One Spirit (CD-Review)
Gotthard - Need to Believe (CD-Review)
Gotthard - Firebirth (CD-Review)
Gotthard - Bang! (CD-Review)
Gotthard - Made In Switzerland (DVD-Review)
Status Quo / Gotthard / Morris - Emden, Nordseehalle (Live-Review)
Gotthard und Axxis - Herne, Gysenberghalle (Live-Review)
Marc Lynn von Gotthard (Interview)
Freddy Scherer von Gotthard (Interview)