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Das Ende einer Dienstfahrt

Beitrag von Eric vom 09.08.2009

Nein, was haben wir uns aufgeregt! Ulla Schmidt, ohnehin nicht die ausgesprochen beliebteste im vermerkelten Kapunett, hat sich ihren Dienstwagen nach Spanien fahren lassen! Die Vordenkerzeitung des gesamtdeutschen Stumpfsinns schmiert, dankbar für das gefüllte Sommerloch (Bohlen und der König von Mallorca waren gerade nicht verfügbar), tagelang die Titelseite mit hysterischen Schlagzeilen voll, und das hörige Blödvolk ergeht sich in Entrüstung.

Was war passiert? Ulla Schmidt hatte dienstliche Termine im Urlaub und hat sich dafür ihren Dienstwagen (samt Fahrer, was irgendwie logisch ist, die Schreihals-Heuchler aber seltsamerweise scheinbar am meisten entrüstete) nach Spanien fahren lassen. Der Bund der Steuerzahler, immer gerne und schnell mit möglichst einseitig gefärbten Statements bei der Hand, errechnete nebulöse Kosten von 9.000 Euro. Das Gesundheitsministerium rechnete nicht weniger nebulöse 5.000 Euro dagegen. Die Oppostion, politorgasmusgeschüttelt über soviel Publicity im Wahlkampf, erging sich tagelang in geradezu übelkeitserregend gespielter Entrüstung.

Nun könnte ein einfältiges Hirn wie meines auf den Gedanken kommen: Was soll der Scheiß? Wo, bitteschön, ist der Skandal? Die Affäre? Oder zumindest das Affärchen? Eine Ministerin tut, was sie tun darf. Was ihr ausdrücklich gestattet ist. Sie tut, was abertausende Dienstwagenfahrer in unserem Land täglich tun: Sie macht von dem ihr gesetzlich zustehenden Privileg Gebrauch (nicht wahr, liebe Vertreter?) Sie tut etwas, was recht ist und, im wahrsten Sinne, auch billig. Vielleicht nicht die wirtschaftlich klügste Entscheidung, aber in Zeiten, in denen Politiker mit dem Subventions-Helfersyndrom sich schon längst nicht mehr mit Millionen abgeben, sondern die Steuergelder gleich in Milliardenpäckchen zum Fenster rauswerfen, geradezu albern bedeutungslos. Inhaltlich nicht mal einen 5-Zeiler als Randnotiz auf der Politikseite wert.

Aber da habe ich die Rechnung natürlich ohne unsere Moralisten gemacht. Durch so ein bisschen Rechtmäßigkeit lassen wir uns unsere selbstgerechte Wohlfühl-Entrüstung über die scheiß gierigen Politiker doch nicht kaputt machen, wäre ja noch schöner! Außerdem ist Moral ohnehin ein sehr viel ergiebiger Nährboden für Entrüstung als Recht. Nicht alles was Recht ist, so hört man aus den Bierzelten, aus den Diskussionsrunden im TV, ist auch moralisch erlaubt! Plötzlich tauchen sie aus allen Löchern auf, die Gralshüter der Moral, ihre eigene Unbeflecktheit wie Schwert und Schild vor sich her tragend.

Und so rücken wir denn zusammen, wir kleiner Leut, in Deutschland einig Laberland, angeführt von einer Zeitung, bei der die Körbchengröße der Titelseitenweiber größer ist als der IQ des Durchschnittslesers, und ergötzen uns in der Beschimpfung „der da oben“. Wir, die niemals auf die Idee kämen, eine Versicherung mit getürkten Angaben abzurippen (und wenn doch: Ich bezahl ja jahrelang ein, also muss ich auch mal was rausholen). Wir, die bei der Steuer niemals auf die Idee kämen, ein wenig … sagen wir, zu beschönigen (und wenn doch: Wir zahlen eh viel zu viel Steuern). Wir glückliche Oase der angemeldeten Arbeiterschaft, frei von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung (und wenn doch: Die Nebenkosten sind eh viel zu hoch). Wir, die vielleicht ein paar steuerliche Schlupflöcher kennen, aber sie bei Gott niemals ausnützen würden. Wegen Moral und so, ihr wisst ja …

„Ihr seid widderlich, nimmer zu ertrage“ singen BAP über die Politiker und weiß Gott, oft genug haben sie recht. Aber wisst ihr was? In einer Zeit, in der deutsche Soldaten in Afghanistan in die Offensive gehen und nur pures Glück verhindert, dass noch mehr Landsleute in Leichensäcken nach Hause geflogen werden, weht tagelang ein Sturm der Entrüstung über eine popelige Dienstfahrt einer Ministerin durch unser Land. Wo war der Sturm der Entrüstung darüber, dass unsere Soldaten in einen Krieg geschickt werden, den sie nicht gewinnen können? Der kleine Mann kann auch ganz schön widderlich sein ...

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