Squealer-Rocks.de CD-Review
Waltari - Release Date

Genre: Crossover
Review vom: 11.02.2007
Redakteur: Jack
Veröffentlichung: bereits veröffentlicht
Label:



Nicht einmal ein ganzes Jahr ließen die Crossover Heroen von Waltari nach dem vollgepackten Streifzug durch Europa (BLOOD SAMPLE) ins Land ziehen, um sich erneut mit einem neuen, nicht merklich kürzeren Album (namentlich RELEASE DATE) zu Wort melden und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu müssen. Während andere auf ultimativen Chartplattformen bei Spartenkanälen mit gerade mal einer halben Millionen Fernsehzuschauern als Einschaltquote ihre Rente einheimsen wollen, definieren sich Waltari jedes mal neu und sorgen mit ihren klaren Statements für Gesprächsstoff. Erwartungen stelle ich an Kärtsy Hatakka und Co. sowieso keine mehr, da diese im Endeffekt immer nur ein Bruchteil dessen ausmachten, mit dem die verrückten Finnen dann wirklich aufwarteten.

So auch im gegenwärtigen Zeitalter des „modernen Menschen“, welches auf RELEASE DATE gehörig sein Fett wegbekommt. Waltari zeigen die Blasiertheit und Oberflächlichkeit des menschlichen Daseins auf und spannen den Bogen zum animalischen Instinkthandeln. Wie stark der nahezu pausenlos Alben veröffentlichende Vierer auch nach fast 20 Jahren im Geschäft hinter seinen Aussagen steht, belegt alleine die Tatsache, dass sich – mit Ausnahme des zudem bei Kreator angestellten Sami Yli-Sirniö – alle Bandmitglieder während des Schreibprozesses Bärte wachsen ließen, um die Auswüchse des Animalismus zu demonstrieren.

Lange Bärte und überhaupt ein zersaustes Äußeres... um dem auch musikalisch gerecht zu werden, blickten die Verfechter von auf CD gebannten Chaosszenarien der Marke „heute machen wir einen Eintopf“ ein wenig in ihre geschichtsträchtige Vergangenheit zurück und kramten eine riesige Palette mit todesstählernen Elementen à la Unleashed, Dismember oder Entombed aus der Schublade heraus, die einst wie auf EVANGELICUM (1999) in den allgegenwärtigen Sound eingeflochten werden.

Im Opener „Get Stamped“ sieht man sich mit einem satten Metal-Brett konfrontiert, das (so abgefahren wie die vier nun mal sind) einen in deftigsten Thrash umgemünzten Melodiebogen vom ersten Hit der Backstreet Boys („We've Got It Goin' On“) bezieht. Weiter legt der alles in Perfektion singen könnende Kärtsy kurzerhand jegliche gefühlvolle Note ad acta und vertont authentisch den aggressiven mit Rapeinlagen und Verzerrungen spielenden Metal-Gesang, bis das Stück im Mittelteil für wenige Sekunden komplett aus dem Zusammenhang gerissen wird, er urplötzlich wieder ganz sanfte Töne spuckt und das Lied selbst über elektronische Verwehungen wieder zum Ausgangspunkt geführt wird.

Das anschließende „Big Sleep“ stellt dagegen eine dem Titel gerecht werdende, verträumte und melancholische Züge nicht verheimlichende Nummer dar, die zwischendurch allerdings auch kurze alptraumartige Sequenzen, bedingt von einigen derben Shoutings und stakkatoartigen Gitarrenaufläufen, aufnimmt. Als wäre dieser Umschlag nicht schon so groß wie die Leistungssteigerung der Handballnationalmannschaft im Laufe des WM-Turniers, hetzt das Gespann im Galoppritt und in Kollaboration mit einigen Punk-Vibes durchs wilde Programm von „Let's Puke Together“, das von einem auf „Speed“ (nicht die Droge) getrimmten Kärtsy moderiert wird.

Eher „traditionell“ betucht fahren sie später mit „Hype“, einer klassischen Crossover-Nummer, fort, in der Elektro, Rock, Pop, Metal und Hip Hop unter einem Deckmantel einherschreiten und auch mal die Platte hängen darf, bevor sich in „Wish I Could Heal“, das ihr euch vorab auf der MySpace-Seite der Band reinziehen könnt, Korn’sche New Metal Anflüge mit einem ultraeingängigen, das Heil im Poppigen suchenden Refrain, trist anrüchigen Keyboardpassagen und fetten Growlings abwechseln, womit der Song von der Schmissigkeit her das Pendant zu „Helsinki“ von BLOOD SAMPLE abgibt. Wen das immer noch nicht sättigen sollte, bekommt mit dem als Bonus Track deklarierten „Spokebone“ zudem ein abgedrehtes Featuring mit dem finnischen Frauengesangsverein von Värttinä, das das gleichzeitige Fähnchenstecken auf die neugewonnene Komponente „Ethno“ mit sich bringt.

Bleiben noch der Punkflitzer „THD (Lehtinen)“ und das, die aufgrund des Titels geschürten Erwartungen nicht halten könnende, für Waltari-Verhältnisse etwas zu gewöhnlich ausfallende „Sex In The Beergarden“. Wenn man penibel nach Abzügen in der B-Note sucht, wird man hier – wenn auch nur geringfügig – fündig.

Besonders in Augenschein genommen wird natürlich das an Position vier einsortierte, fünfteilige, sich durch einen Automatismus zum Kernstück von RELEASE DATE aufspielende und beinahe 40 Minuten beanspruchende Mammutwerk „Cityshamaani“, versetzte doch der vor gut zehn Jahren erschienene Opus YEAH!YEAH!DIE!DIE! Seinerzeit gar einschlägige Death Metaller ins Staunen.

Los geht’s mit der Fahrt aufnehmenden, Siebeneinhalbminuten langen, teils von undurchschaubaren Takt- und Stilwechseln begleitenden Einleitung „Night Flight“, die anfangs einen etwas abstrusen Eindruck vermittelt und sich erst nach mehreren Durchläufen entfalten kann. Ganz anders Part zwei, „Morning“: Mittels den, sich durch den eher verhaltenen Einsatz von harten Riffattacken bemerkbar machenden, Laut-und-Leise-Spielereien nimmt er sofort Kontakt zum Hörer auf und fesselt diesen an den weiteren Verlauf. Dieser besitzt in „Colgate Country Showdown“, in welches auch Xylophonklänge eingearbeitet wurden, einen sehr prägnanten Vertreter, während „The Incarnation Party“ eine in Beats, Synthesizer-Verschnörkelungen, verzerrte Gesänge und eine geladene Portion Metal eingebettete Klassik-Darstellung vertritt. Kaum schlägt das Gitarristenduo Lehtinen/Yli-Sirniö mit kleinen Schnipseln von der Zweitstelle des Letztgenannten zu, ergreifen Mr. Hatakka und Drummer Ville Vehviläinen auch schon die Flucht in den von martialischen Beats begleiteten Disco-Sound der Achtziger. Bei Waltari gibt es eben nichts, das es nicht gibt. So sieht das auch das letzte, längste und zugleich theatralischste aller fünf Teilstücke, „Sympathy“. Es kreiert eine Schnittstelle zwischen einem balladesken Monument und einem stimmungsvollen Manifest und setzt somit den ganzen Körper unter Strom.

Fazit: Die Band Waltari ist das fleischgewordene Phänomen, wie auch nach unzähligen Karrierehighlights stets experimentierfreudige, grenzenlose und universelle Musikerfahrungen gemacht werden können. Nein, normal ist er nicht, dieser kulinarische Leckerbissen. Da fällt mir vor lauter Fanatismus völlig unbeabsichtigt die Gabel aus der Hand...

VÖ: 23. Februar 2007

Tracklist:
1. Get Stamped
2. Big Sleep
3. Let's Puke Together
4. Cityshamaani - Night Flight
5. Cityshamaani - Morning
6. Cityshamaani - Colgate Country Showdown
7. Cityshamaani - The Incarnation Party
8. Cityshamaani - Sympathy
9. Hype
10. THD (Lehtinen)
11. Sex In The Beergarden
12. Wish I Could Heal
13. Spokebone (Bonus Track)

Anspieltipps: Get Stamped, Big Sleep, Cityshamaani, Wish I Could Heal

Band Line-Up:
Kärtsy Hatakka - Gesang, Bass, Keyboards
Jariot Lehtinen - Gitarre, Gesang
Sami Yli-Sirniö - Gitarre, Gesang
Ville Vehviläinen - Schlagzeug

DISCOGRAPHY:

1989 - Mut Hei EP
1991 - Monk Punk
1992 - Torcha!
1993 - Pala Leipää
1994 - So Fine
1995 - Big Bang
1996 - Yeah!Yeah!Die!Die!
1997 - Space Avenue
1998 - Decade
1999 - Radium Round
1999 - Evangelicum / Evankeliumi Show
2000 - Channel Nordica
2001 - Back To Persepolis
2004 - Rare Species
2006 - Blood Sample
2007 - Release Date

SQUEALER-ROCKS Links:

Waltari - Blood Sample (CD-Review)
Waltari - Release Date (CD-Review)

Kärtsy Hatakka von Waltari (Interview)
Kärtsy Hatakka von Waltari (Interview)
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