Friederike Böhme von Mourning Rise
(16.10.2008, Interview geführt von Reaper)
Vorhang auf und Manege frei für eine Aufführung im Zirkus der Illusionen, wo den erlauchten Gästen heute Roggenbrötchen mit musikalischer Konfitüre Extra gereicht werden und der kollektive Wahnsinn jeglichen Rahmen sprengt. Wer wissen will, was sich hinter den finsteren Planen des Zirkuszeltes und den fünf Arten die Stille zu erleuchten verbirgt, der sollte es nicht versäumen die Wortakrobatiken der Dompteuse Friederike Böhme von Mourning Rise in Erfahrung zu bringen.
Squealer-Rocks.de: Hi, Rika! Wie immer - zuerst mal Glückwunsch zu eurem gelungenen Erstlingswerk FIVE WAYS TO ILLUMINATE SILENCE, das gekonnt eingängige mit experimentellen und atmosphärisch sehr dichten Passagen verknüpft. Wie gestaltete sich das Songwriting vor dem Hintergrund, dass ihr euch nicht als konventionelle Band seht?
Rika: Hi, Stefanie!
Danke auch für die Möglichkeit unserer Scheiblette im Nachgang noch ein wenig philopolitischen Bodensatz andichten zu dürfen. Mit dem Songwriting wären wir auch gleich da, wo beim normalen Burger das Brötchen sitzt. Denn, was den Grundstein für die Musik bildet, ist für uns zugleich am Endprodukt obenauf: Der gemeinsame Schaffensprozess. Dazu sammelt jeder zuhause kraftvolle Samen und wirft sie unter Absingen seiner Vorstellung, was darin steckt, in den Proberaum. Sogleich wird das Saatgut vom Kollektiv in die vorhandene, roggige Mischung eingeknetet. Einen Bäckermeister gibt es also bei uns nicht, die Vorlieben eines jeden werden demokrullinarisch behandelt. Da aber doch ein Schmatz Bandphilosophie umgeht, wird beim Abschmecken der Songbrötchen auf eine runde Genreauswahl geachtet. Hinzu auf diese Grundlage kommt dann das, was dieses Bandwich so richtig lecker macht: zart bis growliger Gesang, Frischzeug von Gastmusikern, eine Prise Studiogewürze und ein winziger Fitzel Bandsalat. Guten Appetit!
Squealer-Rocks.de: Was glaubst du macht das Schreiben von Songmaterial schwerer: Eine vollkommene kompositorische Freiheit oder ein enger Rahmen, wie es zum Beispiel im Hard Rock der Fall ist? Und welchen "Rahmen" habt ihr euch gesetzt?
Rika: Ob Ausmalen oder Rahmenbauen schwieriger ist, weiß ich nicht. Die CD hat uns beides abverlangt. Ohne Gesang waren wir beim Musizieren zunächst ganz frei. Alles ging, aber vieles ging auch ins Leere. Beim Verdichten und dem Ein- und Ausklammern während den Voraufnahmen, war eher Regiearbeit gefragt. Pro Lied sollte eine Handlung, eine dramaturgisch wirkungsvolle Anordnung gefunden werden. Die Vorbereitung des Gesangs war im engeren Sinne Drehbucharbeit. Jetzt gab es einen festen, bereits aufgenommenen Tonrahmen und die Texte mussten auf das jeweilige Metrum und die Stimmung gepuzzelt werden. Beim Schmutzspur-Einsingen vor dem Laptopmikro ist dann so manches Bier geflossen. Für Niko (Knappe Anm.d.Red) und Max (Goth Anm.d.Red.), die die längsten Strecken auf unseren Ways (FIVE WAYS TO ILLUMINATE SILENCE Anm.d.Red.) mit Gesang erhellt haben, waren die Vorgaben noch enger. Dank ihrer Erfahrung und Vielseitigkeit haben sie uns alles ermöglicht, was wir uns an Vocals gewünscht hatten. Das Abarbeiten einer vorgegebenen Struktur schied für "5 Ways…" aus. Uns einen Rahmen vorzugeben ist für uns aber auch nicht undenkbar. Nur würden wir uns dafür bei einer beliebigen Gattung bedienen, nicht ausschließlich in der Musik.
Squealer-Rocks.de: Fünf Arten die Stille zu erleuchten - auf den ersten Blick ein Paradoxum, da Stille für gewöhnlich mit den Ohren und Licht mit den Augen wahrgenommen wird. Auf den zweiten Blick offenbart sich aber eine Metapher dahinter. Was steckt hinter diesem Bild, das ihr schon alleine durch den Albumtitel kreiert?
Rika: Das stimmt. Es ist ein Paradox. Auf den dritten Blick sieht man zudem einen Zug oder etwas Ähnliches aus dem Zelteingang herausleuchten. Der ist aber ziemlich klein. Denn Licht ist auch immer Bewegung, E=mc2 quasi. Damit fährt es sich durchaus komfortabel, weil schwerelos, über jedwede Wege. Aber nur in der trauerstillen Schwere der Nacht wurde dieser Funke auch für uns hörbar. Demütig ließen wir uns leiten.
Squealer-Rocks.de: Und wenn wir schon bei Bildern sind, in welchem Zusammenhang zur Musik steht das Albumcover?
Rika: Das Bild spiegelt tatsächlich vieles wieder, was uns auch beim Klimpern bewegt hat. Zentral zunächst der Zirkus mit seinen zynischen Verheißungen nach Selbsttäuschung. Andererseits ist da aber auch der dumpfe Verlustschmerz des Gräberfeldes - für dessen Gestaltung übrigens der Busbahnhof Bochum Pate stand - zudem sich eine lykantrophe Mondschwärmerei mischt. So ist auch eine drückende Melancholie in jedem Stück vorhanden, die gelegentlich in wütenden Passagen nach vorn bricht. Die Manege verspricht schnelle Vergnügen, lockt Hörer immer wieder mit eingängigen Melodien sich dort zu entspannen. Schnelle Wechsel zu gleißenden Zaubertricks stiften dann noch mehr Verwirrung und so merkt der Hörschauer nicht wie ihm langsam der Verstand aus der Tasche gezogen wird. Der Luftballon (rückwärtig) stellt dann alles noch einmal in Frage. Denis von coloure.com beschenkte uns mit dieser großartigen Umsetzung von bitterer Kälte und doppeldeutigem Augenzwinkern.
Squealer-Rocks.de: Nachdem wir unlängst in der Redaktion darüber diskutierten, wie wichtig die Texte der Lieder für das gesamte musikalische Konzept einer Band oder eines Albums wären, leite ich die Frage mal an dich weiter. Wie wichtig sind dir die Lyrics? - ob nun bei Mourning Rise oder ganz allgemein.
Rika: Uneingeschränkt, hundertprozent wichtig. Ein Gesamtkonzept ist was ganz Feines. Wir sehen unseren Texte als anregendes Phantaphrosiakum, der je nach Spielzeit auf der Platte mal stärker leiten, mal verstören soll. Wirrungen der Ich-Findung, wie sie auf den Ways gezielt gesucht werden, verlangen natürlich verschiedene Erzähltechniken. "Leaves" bedient sich eines Resümees, das gut auf der letzten benutzten Seite eines Tagebuchs zu finden sein könnte, in "Scouting High Ways" wird die Realität vor unseren Ohren im stream-of-consciousness ertränkt.
Squealer-Rocks.de: Da fällt mir gerade ein - du bist doch Keyboarderin, wie stehst du zu der Aussage, dass Metal mit Keyboards kein "wahrer" Metal sei?
Rika: Da steh ich mit dem Rücken zu.
Squealer-Rocks.de: Aber was ist überhaupt Metal? Nur eine Musikrichtung oder doch eine Subkultur, die sich versucht ihre eigenen Werte zu schaffen? Welche Klischees stören dich dabei am meisten?
Rika: Dieses Katz- und Mausspiel um den akademischen Titel "Subkultur" ist uns ziemlich egal. Gemeinnützige Einstellungen wie Toleranz, Solidarität und Empathie darf man sich auch ohne Haustierberechtigungsschein halten und sind dringend zur Anschaffung zu empfehlen, unabhängig vom Klamotten- und Musikgeschmack. Vielleicht dreht sich Metal tatsächlich mehr um die Musik als um gemeinsames Dafür- oder Gegenhalten. Hier wird Musik aber auch als Selbstzweck und nicht nur als Imagetransporter begriffen. Komplexere und innovativere Ansätze finden so möglicherweise mehr Beachtung als in anderen Szenen. Anders als unter Jazzern vermute ich unter der Frittengabel aber zudem sehr wohl ein Bedürfnis nach Andersartigkeit und, unter Gleichen dann, nach Authentizität. Ein Rumgepoche auf der Trueheit (herrlicher Uglyzismus) oder eine unkleidsame Hybris eines "reinen Geschmacks" stinken. Musikalische Klischees wie der allgegenwärtige Tritonus oder eintönig-"düstere" Gitarrensounds sind in ihrer Berechenbarkeit irgendwie ja auch liebenswert und bei mäßigem Gebrauch gut verträglich.
Squealer-Rocks.de: Man spricht in diesem Zusammenhang ja gerne von der so genannten "Szene", dabei habe ich das Gefühl, dass diese in unterschiedliche Lager ihren Musikrichtungen entsprechend zersplittert ist. Ein Death Metal Fan wird vielleicht noch klassischen Heavy Metal hören, aber andersrum ist dies eher selten anzutreffen. Mit Mourning Rise sitzt ihr stilistisch zwischen allen Stühlen. An welche Adresse (Hörerschaft) geht eure Musik?
Rika: Wir streben keinen speziellen Hörerkreis an. Vielmehr geht unser Ruf an all jene, Grenzgänger, die sich gern auf ungewöhnliche Musik einlassen.
Squealer-Rocks.de: Wie lange müssen wir nun auf den Nachfolger von FIVE WAYS TO ILLUMINATE SILENCE warte?
Rika: Sicher bis ins Zeitalter des Stiers hinein, denke ich. ?Von Taurus zu Schaulust' ist der Arbeitstitel und es staut sich bereits das Material in einem anthropologischen Schaukasten für 200 Personen bereits mikrometerhoch. Aber wir haben ja ab Silvester noch 11.297.133.540 Minuten für etwa dasselbe an Spielzeit zu erschaffen.
Squealer-Rocks.de: Wird man irgendwann einmal das Vergnügen haben euch irgendwo live zu erleben?
Rika: Zurzeit planen wir eine Kneipentour mit den Glücksbärchis. Wer Glück hat, trifft uns vielleicht mal in Leipzig (z.B. in der hochgepriesenen Metalkneipe "Helheim") oder Umgebung. Alles, was uns als Trink- und Spielstätte gelegen kommt, kann Ziel eines Überraschungsangriffs werden. Neben den eindeutig dafür vorgesehenen Lokalitäten kämen etwa ein verlassener Straßenbahnhof, ein Rund aus Hühnergöttern oder ein schlecht bewachtes Parkhaus in Frage. Außerdem soll es auch was fürs Auge werden. Mehr darf ich nicht verraten.
Squealer-Rocks.de: Ich bedanke mich für das Interview und die Zeit, die du dir genommen hast. Die letzten Worte gehören dir. (Auch wenn sich dieser Satz auf Englisch besser anhört ;-))
Rika: Kleiner Rekurs: Danke dir für das Interview. Ansonsten, - immer anders bleiben!
DISCOGRAPHY:
2008 – Five Ways To Illuminate Silence
SQUEALER-ROCKS Links:
Mourning Rise - Five Ways To Illuminate Silence (CD-Review)
Friederike Böhme von Mourning Rise (Interview)