Alejandro Arce von Mar De Grises
(08.09.2008, Interview geführt von Reaper)
Aufwühlend wie eine sturmgepeitschte See zeigte sich das Album DRAINING THE WATERHEART der chilenischen Band Mar De Grises im Mai diesen Jahres und entführte den Hörer in eine neue Sphäre des düsteren Doom Metals. Grund genug Schlagzeuger Alejandro Arce nach der erfolgreichen Europa Tournee zu einem kleinen Plausch über das Album, die Band, die Musik und das Streben des Menschen nach Selbstverwirklichung einzuladen.Squealer-Rocks.de: Es kommt ein bisschen spät, aber trotzdem Glückwunsch zu eurem neuen Album DRAINING THE WATERHEART, welches den Hörer durch seine packende Atmosphäre in Erstaunen versetzt. Für mich war es, als würde ich während des Hörens entlang einer zerklüfteten, in Nebel getauchten Küste wandern, wo das stete Rauschen der Brandungswellen an den Klippen in den Ohren dröhnt. Habt ihr solch ein intensives Hörerlebnis von vorneherein geplant oder entwickelte sich dieses während des Schreibens der Songs von ganz alleine?
Alejandro Arce: Danke für deine Worte.
Ich würde sagen beides. Gewiss, die Idee ist es etwas zu erschaffen, das so intensiv wie möglich ist, aber gleichzeitig sollte es eine ganz natürliche Intensität sein, die wahrhaft von Herzen kommen. Also, um es mit anderen Worten zu sagen, es gibt eine Geschichte oder Reise, die wir in unserer Musik bereitstellen, aber nicht mehr; sie wird nicht auf rationaler Ebene weitergegeben, sie besitzt keine ausgezeichneten Elemente, Umgebungen oder Farben. Die Idee besteht darin diese Bilder während des Hörens entstehen zu lassen, so wie zum Beispiel die Landschaft, in die du dich versetzt fühltest.
Squealer-Rocks.de: Viele Leute, die zuvor noch nie Doom Metal gehört haben, verbinden mit diesem Begriff Monotonie und Langeweile. Meinst du, dass es aus diesem Grund eine bessere Bezeichnung für die Stimmung euerer Musik geben müsste oder liegt es nur an den Leuten selbst?
Alejandro Arce: Ich habe wirklich keine Bezeichnung parat, da ich nicht gut im Bezeichnen oder Namen geben bin. Ich vermeide es auch, solange es nicht unbedingt notwendig wird. Ich denke, dass es sehr schwer ist einen Begriff zu finden, der jeden Teilaspekt, jedes Element oder jeden Einfluss dessen wiedergibt, dessen man einen Namen geben möchte. Die Wurzeln unserer Musik liegen sicherlich im Doom Metal Genre, aber darüber hinaus ist es mir nicht weiter wichtig, ob wir uns noch innerhalb dieses Genres bewegen, bereits in einem andern oder genau zwischen zwei oder zehn verschiedenen Stilen. Und was die Stimmung angeht, steht diese Art von Musik oftmals in Verbindung mit den Begriffen, die du genannt hast, und auch zu Traurigkeit und ähnlichen Adjektiven. So kann es sein, muss es aber nicht notwendigerweise; darüber hinaus denke ich, dass dieser Stil sehr nachdenklich und tiefgründig ist und wenn man beständig nachdenklich und in sich gekehrt ist, findet man für gewöhnlich auch Dinge, die man nicht mag; deswegen hält man sie auch dort - verborgen. Das ist der Grund, weswegen Doom Metal mit jenen Gefühlen in Verbindung steht, sie aber nicht unbedingt repräsentiert. Ich denke, es gibt nicht viele Dinge, die so subjektive sind, wie die Stimmung, die von irgendeiner Musik vermittelt wird… also, um deine Frage zu beantworten - ich denke, dass es der Hörer ist, der den zutreffendsten Namen geben kann.
Squealer-Rocks.de: Im Übrigen habt ihr viele positive Reviews zu euerem neuen Album und auch dessen Vorgänger erhalten. Wie wichtig sind solche für dich als Musiker und für die Band als Ganzes?
Alejandro Arce: Sehr wichtig. Nicht der alleinige Grund Musik zu machen, aber positive Resonanz ist etwas, das uns in vielerlei Hinsicht geholfen hat, als Band zu wachsen. Diese positiven Reviews haben uns geholfen unsere Musik zu promoten, zu touren, viele neue, interessante und unterschiedliche Leute und Orte kennen zu lernen und unsere Musik überhaupt mit vielen Leuten zu teilen.
Squealer-Rocks.de: Ich vermute, dass du diese Frage schon oft gehört hast, aber es ist tatsächlich nicht so gewöhnlich eine Band aus Südamerika zu hören. Um ehrlich zu sein, dachte ich zunächst, ihr wärt eine finnische Band wegen der düsteren Stimmung in euren Kompositionen. Also, wie sieht die Metal Landschaft bei euch in eurem Heimatland aus?
Alejandro Arce: Na ja, die Wahrheit ist, dass die Szene ziemlich klein ist und es zu viele Bands und zu wenige Leute gibt, um zu Konzerten zu gehen. Der "Markt" ist nicht ausbalanciert, weswegen es zum Beispiel sehr schwer ist alle Kosten für einen Gig abzudecken. Es ist ziemlich schwer die Dinge in Sachen guter Gigs, guter Venues und auch guter Bands ins Rollen zu bekommen. Es gibt ein Paar anständige Venues und die Besitzer wissen das, deswegen verlangen sie eine Menge Geld dafür und deswegen muss man auch eine Menge für Konzertkarten bezahlen, dazu kommt, dass Chile im Vergleich zu den Vereinigten Staaten oder den meisten europäischen Ländern nicht so reich ist und die Leute aus diesem Grund keine Tickets kaufen, wenn diese zu teuer sind. Du siehst schon, die Szene ist anscheinend in einem endlosen Teufelkreis gefangen. Ich muss zugeben, dass sich dies gerade ändert, jedoch nur sehr langsam. Andererseits gibt es auch eine Tendenz alles zu unterstützen, was von außerhalb Chiles kommt. Nicht jeder verhält sich so, aber es ist in der Tat eine Tendenz.
All das macht im Moment Sachen wie Auftreten oder einen Gig zu organisieren so schwer. Trotzdem, wenn wir spielen, haben wir auch Leute, die uns unterstützen, und das ist wirklich ein gutes Gefühl, wenn man die ganzen Schwierigkeiten im Hinterkopf behält.
Und wegen Bands - es gibt eine Menge, aber die Leute haben meist nicht die Zeit oder das Geld sich einer Band auf professioneller Art zu widmen. Aus diesem Grund bleiben viele Bands nicht mehr als "eine gute Idee". Es ist eine Schande, weil ich denke, dass wir eine Menge Potenzial haben.
Poema Arcanus ist eine hervorragende Doom Band mit progressivem Touch, sie gehören zu meinen wirklichen Lieblings Bands und wichtigen Einflüssen unserer Musik - um ehrlich zu sein, sind sie in Chile sehr viel beliebter und bekannter als wir. Coprofago sind auch eine ausgezeichnete, original chilenische Band, aber sie sind nicht mal in Chile besonders bekannt; sie sind total unterbewertet, weswegen sie kaum live spielen. Es gibt noch eine Menge andere Bands, aber meiner Meinung nach sind nur ein paar erwähnenswert: Perpetuum, Uaral, Animus Mortis, Inanna, Target, Defectoscura und Mourners Lament sind Bands, die ich für qualitativ hochwertig erachte, weswegen ich sie ernsthaft empfehle.
Squealer-Rocks.de: Lass uns noch mal auf DRAINING THE WATERHEART zurückkommen, dessen Titel sich irgendwie poetisch anhört. Warum habt ihr gerade diesen Namen ausgesucht?
Alejandro Arce: Wir wollten einen emotionalen und für Interpretationen offenen Titel. Manche sagen, Wasser sei die perfekte Wiedergabe dessen, was Chaos sein kann. Das Herz steht für gewöhnlich für den Ort, an dem Gefühle geboren werden. Daher stellt "Das Wasserherz trocken zu legen" den ewigen Versuch, so nutzlos er sein mag, dar, uns über unsere Gefühle klar zu werden. Jeder einzelne Song fungiert als ein Katalysator die menschlichen Schwächen oder manchmal auch Stärken wie Stolz, Neid, Angst usw. abzuleiten, um dadurch die reinste Ebene der Gefühle zu erreichen und zu empfinden. Die Idee ist es aber nicht diese zu rationalisieren; es ist mehr wie ein Versuch sie zu erreichen, wie gesagt, und auf reinste Weise den wahren und unberührten Kern der menschlichen Gefühle zu spüren, welche sich, genau wie Wasser, endlos in einer unendlichen Anzahl von Richtungen bewegen. Trotz allem, jede mögliche Interpretation ist nicht wahrer als jede andere auch und was ich dir gerade erzählt habe, ist nichts weiter als meine eigene Geschichte dahinter.
Squealer-Rocks.de: Mar De Grises - Die Graue See - Ich denke, dass der Name ziemlich gut zu eurer Musik passt, da er einem die Vorstellung einer stürmischen, grauen, Wellen umwogenen Küste mit heulendem Wind und schreienden Seevögeln vermittelt und gerade jene bekommt man, wenn man eurer Musik lauscht. Wie kommt es also, dass ihr diesen Namen gewählt habt?
Alejandro Arce: Danke. Einerseits kommt der Name aus der Inspiration, die uns unsere graue Stadt gibt; dieser graue, große Magnet, den wir verachten und verehren; diese graue Stadt, die wir eines Tages gerne verlassen würden, diesen Tag gleichzeitig aber nicht zu erleben wünschen. Andererseits kommt er aus der Empfindung, der uns manchmal erfüllenden Monotonie. Weder weiß, noch schwarz; ein formloser Gemütszustand, der ziellos umherwandert. Ich denke, dass dieser Zustand während des Schaffensprozess ziemlich interessant ist, da du nicht genau weißt, was du in Sachen Kreativität und Inspiration tust oder wohin du dich darin bewegst, weswegen das Resultat auf irrationale Weise ehrlich ist.
Squealer-Rocks.de: Viele Leute sagen, dass man so früh wie möglich damit beginnen muss ein Instrument zu lernen, da dies später sehr viel schwerer wäre. Seit wann machst du Musik? Und was bedeutet sie dir und den anderen Mitgliedern von Mar De Grises?
Alejandro Arce: Ich denke, dass der Mensch beständig nach Wegen sucht sich selbst zu kanalisieren, um seinen Geist von Zeit zu Zeit zur Ruhe kommen zu lassen. So wie die Grundlagen zur Korruption in einer Regierung gefördert werden, wo ein und dieselbe Partei zu lange an der Macht war; oder genau so, wie du körperlich durch ein fünfstündiges Fußballspiel ermüdest, selbst wenn du Fußball liebst; dasselbe geschieht mit dem Geist, der zur selben Zeit kanalisiert werden muss. Scheint mir fast logisch zu sein, dass es erschöpfend sein muss gleichzeitig Schöpfer und Schöpfung zu sein, so wie es Verstand/Gedanken, Geist/Gefühle sind. Aus diesem Grund denke ich, ist es notwendig unsere Gefühle und unser Weltbild stets auf mehr als einem Wege mitzuteilen. Ein Instrument zu spielen kann eine wirklich nützliche andere Sprache darstellen deinem natürlichen Kommunikationsbedürfnis Lauf zu lassen - um deine Frage also zu beantworten, würde ich sagen, dass jünger zu sein die Dinge zur Zeit des Lernens einfacher macht einfach aus physischen Gründen; du entwickelst dich noch in diesem Aspekt, so dass ein Instrument zu lernen einen direkten Einfluss auf die physische Entwicklung deines Körpers ausübt. Aber nur das, weil, so lange du das Verlangen verspürst, bestimmte Abstraktionen in dir selbst zu kanalisieren, und dafür irgendeine Art von Musik verwenden willst, du spielen lernen wirst. Aber um ein Meister des Instruments selbst zu sein, braucht es offensichtlich mehr als das. In meinem Fall, und ich denke, der Rest der Band wird dem zustimmen, bin ich nicht daran interessiert; Ich spiele seit zehn oder zwölf Jahren, aber ich spiele mein Instrument so, wie ich es will, und mir ist es egal, ob ich es richtig mache. Ich bevorzuge es einfach mein Spiel in die Dienste des Ganzen unserer Musik zu stellen und nicht umgekehrt.
Squealer-Rocks.de: Vor kurzem ward ihr auf Tour in Deutschland und Europa. Welche Impressionen habt ihr während des Reisens und Spielens an unterschiedlichen Orten gewonnen? Plant ihr wieder zu kommen?
Alejandro Arce: Es war eine sehr interessante, intensive, enge, erschöpfende und glückliche Erfahrung; eine unvergessliche Zeit für uns. Wir lernten viele verschiedene Orte und Leute kennen. Wir spielten in etwa zehn Ländern und lernten eine Menge über das Tourleben und ebenso über uns selbst. Ich denke, dass wir durch diese Tour als Band sehr stark gewachsen sind und hoffentlich werden wir das auch weiterhin tun. Weißt du, wir leben ziemlich abseits dessen, was man als Kern der weltweiten Metalszene bezeichnen kann. Ich liebe mein Land, aber unglücklicherweise sind wir so weit davon entfernt, weswegen es so schwierig ist.
Ja, wir wollen wiederkommen. Vielleicht nächstes Jahr im europäischen Sommer oder in ein paar Jahren.
Squealer-Rocks.de: Wohin, denkst du, wird der Weg für Mar De Grise führen in Zukunft?
Alejandro Arce: Vorerst planen wir ein paar Gigs hier in Chile und beginnen damit an neuem Material zu arbeiten, das dann hoffentlich in nicht mehr als eineinhalb Jahren von heute an veröffentlicht werden wird. Ansonsten, einfach damit fortfahren zu spielen und Musik zu machen, so lange bis letztlich das Verlangen danach erlischt.
Squealer-Rocks.de: Danke, dass du dir die Zeit genommen und diese Fragen beantwortet hast. Die letzten Worte gehören dir!
Alejandro Arce: Nun gut, vielen, vielen Dank an dich, an jeden, der sich mit unserer Musik identifizieren kann, und an alle, die sich nun, nach dem sie dies hier gelesen haben, dafür interessieren. Beste Grüße.
DISCOGRAPHY:
2001 – Demo
2004 - The Tatterdemalion Express
2008 – Draining The Waterheart
SQUEALER-ROCKS Links:
Mar De Grises - Draining The Waterheart (CD-Review)
Alejandro Arce von Mar De Grises (Interview)