Squealer-Rocks.de CD-Review
Forgotten Tomb - Under Saturn Retrograde

Genre: Dark Metal
Review vom: 05.07.2011
Redakteur: TheMattes
Veröffentlichung: bereits veröffentlicht
Label: Agonia Records / Soulfood



Es ist immer schwer, Musik aus einem Genre zu besprechen, von dem ich, vorsichtig ausgedrückt, nicht ganz so viel Ahnung habe, wie ich mir wünschen würde. Aber hindert das mich daran, meiner unmaßgeblichen Meinung Ausdruck zu verleihen?
Au contraire, mes amis!

Euer Mattes hat da nicht die geringste Scheu oder irgendwelche Hemmungen, sich mit Forgotten Tomb aus Italien und "Under Saturn Retrograde" zu beschäftigen (wenn auch ein bisschen verspätet). Vor allem habe ich mir das Zeugs selbst ausgesucht, weil da was von "depressive Black Metal" stand und ich doch mal hören wollte, was denn da der Unterschied zu dem üblichen depressiven, Leben verneinenden Black Metal ist. Und jetzt habe ich den Salat! Aber der wahre Grund ist eigentlich der, dass ich in diesen stürmischen Zeiten der Veränderungen hautnah dabei sein wollte, wie Genregrenzen eingerissen werden und kein Platz mehr ist für Engstirnigkeit und das Denken und Hören in fest umrissenen Kategorien.
Die Promotionleute fangen schon mal an, indem sie behaupten, dass diese Scheibe von Forgotten Tomb die ganzen Depressive Suicidal Black Metal-Emo-Möchtegerns ohne Gnade zerstören, was aber die Band nicht daran hindert, 'ne völlig andere Bezeichnung zu kreieren, nämlich "Dark Metal", aber die Promotionfuzzis setzen mit "Nihilistic Black Rock Unlimited" noch mal einen drauf. Donnerknispel! Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht!
Fest steht nur, dass die erstgenannte Genrebezeichnung schon in den Neunzigern geprägt wurde, was mich, TheMattes, den König der Klugscheißerei, wieder einmal zu ein paar zusätzlichen Zeilen animiert.

Es war Niklas Kvarforth von Shining, der 1996 seine Musik "Suicidal Black Metal" nannte, um sich "von den mittelmäßigen Würmern in der Szene abzugrenzen. (….) Meine Intention war, die Musik als Waffe gegen den Hörer zu nutzen, sie erzwungen zu füttern mit selbstzerstörerischen und suizidalen Idealen, um damit hoffentlich eine Welle der Unsicherheit zu kreieren, traurige Kinder verletzen sich selbst und andere."
So so, wieder also mal ein Tabu beim Teufel, aber wofür ist Rockmusik denn sonst da, wenn nicht für die Brechung von Tabus? Grundsätzlich finde ich das schon mal richtig. Punkt! Ob ich das rein inhaltlich auch gut finde, steht auf einem anderen Blatt, aber darum geht es hier auch nicht. Kvarforth und alle anderen Death- und Blackmetaller sehen die Welt eben anders als ich und das ist ihr gutes Recht. Für mich entscheidend ist, ob ich mit der Musik zunächst mal was anfangen kann oder nicht. Auf jeden Fall ging Kvarforth mit gutem Beispiel voran und beschritt einen extremen Weg, der aus Experimenten mit psychischem und physischem Schmerz bestand, privat und auf der Bühne.
Und damit sind wir natürlich bei dem Begriff, der aller Musik zugrunde liegt, ihr quasi erst die Daseinberechtigung gibt, nämlich Emotion. Bei Musik geht es immer um Gefühle und je extremer die Gefühle, desto extremer wird auch die Musik, um sie auszudrücken. Ob es sich dabei eher um eine Form des Gefühlsmanagements (Mood Management) oder um den Versuch der Katharsis (seelische Reinigung) handelt, möchte ich hier nicht diskutieren (zumal ich den Katharsis-Ansatz für falsch halte). Fest steht, dass diese Spielart des Black Metal eine Menge Bands hervorgebracht hat, die es in jeder Hinsicht so richtig krachen lassen, beispielsweise natürlich Shining, aber auch Bethlehem und Abyssic Hate in den Neunzigern oder Leviathan, Lifelover(!) oder Silencer im neuen Jahrtausend. Und hiermit entschuldige ich mich in aller Form bei den Bands, die ich nicht genannt habe.

Trotz dieser Destruktivität lebt Niklas Kvarforth immer noch und auch Shining gibt es weiterhin. Aber die Welt hat sich weitergedreht (wie Stephen King in seinem Turm-Zyklus schon ganz richtig bemerkte und verdammt oft) und es gibt mittlerweile viele Bands mit ähnlichen Intentionen, die sich ihrerseits nicht besonders um Genregrenzen scheren und wiederum ihr ganz eigenes Ding durchziehen.
Forgotten Tomb ist eine dieser Bands, die sich im Verlauf der letzten zwölf Jahre eine große Reputation erspielt haben und nun mit ihrer neuesten Veröffentlichung "Under Saturn Retrograde" weiter an ihrer Karriere arbeiten.

Es beginnt mit "Reject Existence", einem Midtempo-Kracher der guten Art, groovy und mitreißend. Der schreiende Gesang deutet auf nichts Gutes (logisch!), schließlich ist das hier kein Streichelzoo. Gut gesetzte Breaks und die Gitarrenarbeit machen diesen Song schon mal zu einem guten.
"Shutter" ist noch anfangs ein wenig härter und schneller, wird aber bald doomiger, schleppender. Klasse!
"Downlift" schlägt in die gleiche Kerbe, ist aber beileibe nicht das Gleiche wie die vorigen Songs, denn Abwechslung wird groß geschrieben.
"I Wanna Be Your Dog" ist riffmäßig ganz weit vorne und das erste echte Highlight, bei dem die Tatsache besonders deutlich wird, dass wir es hier mit einer Mischung aus Rock und Metal zu tun haben, und zwar auf höchstem Niveau. Eine geile Hookline und Gitarrensoli lassen meinen Mund offenstehen. Kein Mensch sieht damit intelligent aus, aber das ist mir egal. Nur ist der Song zu kurz, also "repeat" gedrückt und nochmal staunen.
Aber Forgotten Tomb legen noch 'ne Schüppe drauf und "Joyless" umschmeichelt mein verblüfftes Audiozentrum. Die Post geht ab und wart nicht mehr gesehen. Ein Kracher mit einem Groove für jede Metalparty und jeden Liveauftritt. Wenn da die Menge nicht steil geht, dann weiß ich nicht. Aber das ist nur der Aufgalopp für den bisher besten Track, den ich trotz der Einteilung in zwei Parts mal als Einheit betrachte.
"Under Saturn Retrograde Part I" ist hart, schnell, melodiös und wütend ohne Ende mit Twin-Gitarren wie es besser nicht geht. "Part II" beginnt sehr leise und zurückhaltend mit einer gar schön gestreichelten Gitarre, aber dann geht es doomig und krachend weiter und weiter und weiter und ….. Genialer Song! Hut ab! Hammer!
Das Niveau bleibt, die Begeisterung auch. Der längste Track "You can't kill…" reizt die Möglichkeiten aus, die seine Länge bietet. Mit Breaks zum Verschnaufen, einem Groove zum Mitschwoofen und hammerharten schnelleren Parts zeigen Forgotten Tomb dem geneigten Zuhörer, was eine Metal-Harke ist.
Der Rausschmeißer "Spectres Over Venice" rundet die Sache ab und entlässt mich begeistert in meine ansonsten doch recht helle Welt.

Man mag jetzt von dem ganzen Drumherum halten was man will, aber musikalisch ist "Under Saturn Retrograde" über jeden Zweifel erhaben. Ob wir es nun Nihilistic Black Rock Unlimited oder Dark Metal nennen, dem Vernehmen nach haben sich Forgotten Tomb zweifellos gewandelt, aber trotzdem ist diese Scheibe ganz großes Kino für die Ohren.
Stellt sich natürlich die Frage, warum ich diesen Kram überhaupt mag bzw. überhaupt mögen kann. Die Antwort liegt tief in meiner Vergangenheit und vor der Existenz vieler meiner Leser. Von Anfang an stand ich auf mehr langsame Mucke, angefangen bei Led Zeppelin I mit "Dazed And Confused" und "You Shock Me" oder Manfred Mann mit "Father Of Day, Father Of Night" bis Diamond Head mit "Borrowed Time". Deshalb wohl auch mein Faible für diese Art des Rock oder Metal.

Tja, man hat's nicht leicht als depressive, paranoide und auf Suizid fixierte Persönlichkeit (Herr Morbid über sich selbst), aber wenn dabei gute Mucke herauskommt, soll's mir egal sein. Jetzt bin ich ja eher der nicht so depressive Typ, aber diese Mucke ist genau mein Fall. Als Bezeichnung ist Dark Metal sehr treffend, aber Nihilistic Black Rock Unlimited lasse ich als Synonym auch gelten. Tolle Kompositionen ohne Ausfall machen "Under Saturn Retrograde" zu einer Scheibe, die ich sehr vielen Metalfans nur wärmstens empfehlen kann, vor allem denjenigen, die auch über den Tellerrand ihrer Lieblingsgenres in welche Richtung auch immer, blicken wollen. Einen Versuch ist es allemal wert!

Was die Texte anbelangt, kann ich kein Urteil abgeben, da sie mir nicht vorlagen und da nicht besonders viel zu verstehen ist. Schade eigentlich, denn in diesem Genre legen die Bands sehr viel Wert darauf. *wedelwink* mit dem Zaunpfahl, liebe Promotionagentur!

Tracklist:
1. Reject Existence 6:46
2. Shutter 6:53
3. Downlift 5:39
4. I Wanna Be Your Dog 3:13
5. Joyless 4:48
6. Under Saturn Retrograde Part I 3:39
7. Under Saturn Retrograde Part II 4:22
8. You Can't Kill Who's Already Dead 8:24
9. Spectres Over Venice 6:56

Line-up:
Herr Morbid – guitars and vocals
Razor SK – guitars
Algol – bass
Asher – drums

DISCOGRAPHY:

2000 - Obscura Arcana Mortis (Demo-EP) 2002 - Songs to Leave (Wiederveröffentlichung 2005) 2003 - Springtime Depression 2004 - Love’s Burial Ground 2007 - Negative Megalomania 2011 - Under Saturn Retrograde

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