Squealer-Rocks.de CD-Review
Milk+ - Who Was Mr. Feldman

Genre: Progressive Rock
Review vom: 13.09.2009
Redakteur: TheMattes
Veröffentlichung: bereits veröffentlicht
Label: Pate Records/Edel



Heiliger Bimbam, so kann man sich irren!

Alles fing damit an, das ich bei dem Namen der Band – MILK+ - schon nicht Gutes geahnt habe. Das Cover minimalistisch und in Schwarz-Weiß gehalten, was zwar Clawfinger auch schon gemacht hatten (und jeder Fotograf, der „Kunst“ machen will), aber wenigstens schrie der Titel nicht so überlaut vom Cover: „Vorsicht! Kunst!“

Milk+ haben ihr Album nämlich „Who was Mr. Feldman“ genannt, was bei mir, obwohl es doch eine eigentlich sehr harmlose Frage ist, wiederum akuten Anspruch-Alarm ausgelöst hat. Das Digipak fand ich dagegen schon mal gut, die Texte habe ich aber vergeblich gesucht. Punktabzug in der B-Note!

Aber dem Ganzen die Krone aufgesetzt hat das Infoblatt....

Mit den Infoblättern ist das ja so `ne Sache. Da gibt es nämlich ganz unterschiedliche Texte, von wem auch immer verfasst. Da sind einmal die, meist relative kurzen, Lobeshymnen auf die Band und die Platte. Dann gibt es die manchmal zweiseitigen Ausgaben mit allen nur erdenklichen Informationen über den Werdegang der Band, die Mitglieder und die Entstehungsgeschichte der Musik inklusive der hinter den Songs stehenden Absichten. Wer will das eigentlich alles wissen?

So!

Und jetzt dieses Infoblatt....(bei der Betonung der Wörter in diesem Satz müsst ihr euch den Erzähler in der Rocky Horror Picture Show vorstellen, wie er vor dem Dinner mit Eddie als „Ehrengast“ sagt: „And NOW....THIS Meal....“)

Das gehört in eine dritte, ganz andere Kategorie, geschrieben offensichtlich, um dem Kunst-Anspruch auch formulierungsmäßig und bezüglich der lyrischen Qualität gerecht zu werden.
Normalerweise mache ich das nicht, aber dieses eine Mal kann ich euch den kompletten Text nicht vorenthalten, denn das hier ist ganz großer Sport:

Zitat:

„...und deren drei werden kommen, um euch Erlösung zu verschaffen und euch von den Ketten der Starrheit zu befreien. Mit sich werden sie Erfahrungen einer zukünftig gewesenen Zeit bringen und die Diktatur der ewig wiederkehrenden Vergangenheiten brechen. Ihre Melodien sollen euch wachrütteln und euch bewusst machen: ihr selbst bestimmt, was ihr hören wollt. Vorwärts aus eigener Kraft. Freiheit durch Inspiration.“
(Buch der Steine 4:40)

Den Worten Lokk Lammonds folgend treten MILK+ die Reise an, eine Mischung aus eingängigen Melodien, innovativen Strukturen und rhythmischer Komplexität mit sich führend. Mit ihrem neuen Album „Who was Mr. Feldman“ macht es sich die Band zum Ziel, dien Veränderung der musikalischen Ästhetik und eine Aufwertung der kreativen Selbstverwirklichung gegenüber der Absatz orientierten Verwertung zyklisch wiederkehrender Plagiate zu erwirken.“

Aha!
Donnerwetter!
Erinnert ein wenig an Magma, die französische progressive Rockband der 70er Jahre, deren Mitglieder außerirdischen Ursprungs glaubten zu sein und deren Texte in einer Kunstsprache, Kobaianisch, verfasst waren und die das Genre des Zeuhl begründete. Die Leute bei MILK+ sind wohl ähnlich drauf und wollen die Erdenmenschen mit ihrer Musik endlich ins Licht führen. Mehr Anspruch geht wohl kaum.

Auch `ne Kunst! Vertrackte Formulierungen für einfache Tatsachen zu finden.
Schon Hannibal Lecter forderte Agentin Starling im „Schweigen der Lämmer“ auf, hinter dem vermeintlich Komplexen, dem unverständlich kompliziert Erscheinenden, die Simplizität der menschlichen Existenz zu sehen und so herauszufinden, was denn hinter allem in Wirklichkeit steckt.

Zur Auflösung des Rätsels komme ich später, aber ich wollte hiermit euch nur verständlich machen, mit welcher Erwartungshaltung ich an diese Scheibe herangegangen bin. Ich erwartete gruselig vertracktes, frickeliges Prog- Art- bis Jazzrock-Gedudel inklusive einem Break-Overkill so in der Art wie die letzte Beardfish, die leider bei mir nicht gut weggekommen ist. Hatte mich deshalb wegen MILK+ auch schon bei meinen Kollegen im Internen ausgeheult, was ich denn einerseits verbrochen hätte und wieder mal einen meiner berühmten Verrisse in Aussicht gestellt, was ja andererseits immer `ne Menge Spaß verspricht.

Tja! Mit zitternden Händen also den mp3-Player bedient und geistig hinter einen hohen Mauer in Deckung gegangen, gewappnet mit dem inneren Versprechen, irgendjemanden hierfür verantwortlich machen zu können.

Geistig also sozusagen auf Autopilot geschaltet, beginnt „Who was Mr. Feldmann“ mit „Celadoar“ und die MILK+ beginnt langsam zu rinnen (oder zu gerinnen?) und auch zu wirken. Der Song beginnt sehr laaaaangsam und leise, dann aber geht’s tierisch progressiv los und der Drummer gibt alles, es gibt mehrere langsame Teile, aber eben auch stark geklöppelte schnelle Teile mit einigen Breaks, während der Groove ein wenig zu kurz kommt, denn die krummen Rhythmen (7/13tel oder so, was weiß ich) machen das mitgrooven unmöglich. Der oft hohe Gesang, manchmal gequiekt mit Kopfstimme macht mich allerdings rappelig. Nix für mich!
„Zensmark“ dagegen ist ein ausnehmend schöner Song, der auch seine nervenden Parts hat, aber der Länge wegen die besseren Parts länger ausspielen kann. Zumal mir so `nen getragenes Leadsolo sowieso immer gut gefällt.
Und so geht es weiter: „Paragon Negative“ ist echt anhörbar und bei „Seksy Surprise“ kommen sphärische Sounds zu den schönen ruhigen Parts hinzu, während „Stephead“ „und „Drencrom“ vorwiegend ruhig und langsamer sind und Highlights für mich sind. Ja, ich mag so was! Es muss schließlich nicht immer krachen! Oder? Na also.
In „Ephemerol“ geht es wohl um das Medikament, das in den Horrorfilm „Scanners“ von David Cronenberg bei den ungeborenen Kindern für die Entwicklung dieser besonderen Fähigkeit verantwortlich war. Guter Song, noch `nen Highlight, aber dieser Gesang....
Nix für ungut, aber der macht mich fertig.
„Synthemesc“ ist mir zu lang und unstrukturiert, dagegen ist der Titelsong um Klassen besser. Manchmal wäre es schlauer, Songs wegzulassen, anstatt die Kapazität des Datenträgers unbedingt ausnutzen zu wollen.
„Who was Mr. Feldman“ hat einen starken Groove und glänzt mit einer ebenso glänzend gespielten Trompete. Bestnote für diesen Song!
Krönender Abschluss ist die „Ichikawa Story“, für mich einfach ein gutes Stück Progrock, wenn da nur dieser gruselige Gesang nicht wäre. Aber man kann ja bekanntlich nicht alles haben.

So! Das Trio aus Österreich hat da nun mit der zweiten Scheibe was vorgelegt, was nicht einfach einzuordnen ist. Vor allem ist es nicht einfach zu sagen, wie denn nun das Urteil der German Jury in Form von TheMattes ausfällt. Denn genauso genommen ist das nicht so unbedingt meine Musik. Im Vergleich zu Beardfish zum Bleistift ist die Mucke aber wesentlich weniger kompliziert und nicht von so einer überbordenden Breakerei und Frickelei geprägt. Hier ist das echt auszuhalten. Nichtsdestotrotz sind die Songs schon komplex und nicht gerade linear komponiert, das Songwriting ist auf jeden Fall nicht von schlechten Eltern. Außerdem können die Musiker definitiv was. Die Songs sind abwechslungsreich und erscheinen mir durchaus in sich stimmig, wenn ich mal von der schon erwähnten Tatsache absehe, dass einfach mindestens zwei Songs zuviel auf diesem Album sind. Warum zu Teufel muss man die CD ganz voll machen?
Zum Gesang: Schwamm drüber. Sorry!

Es gibt viele ruhige, melodische und auch rockige Passagen, sphärische Sounds, Leadsoli und eine Trompeteneinlage bilden überraschende Elemente.

Wir hören ein sehr natürliches Schlagzeug und Bass. Es ist keine sehr fette Produktion, aber warum auch? Muss ja auch nicht sein, in diesem Genre.
Textlich ist mir das Ganze zwar unverständlich, scheint aber doch hochintellektuell zu sein. Passt zur Mucke und zur Intention. Höchstwahrscheinlich jedenfalls. Hallo? Ein Booklet mit Texten wäre echt schick gewesen. Oder habt ihr Angst und traut euren eigenen Texten nicht? Ich glaube aber viel eher, dass da jemand bei der Plattenfirma entweder zu faul oder zu geizig war. Pfui, pfui und nochmals pfui!

„Who was Mr. Feldman“ von MILK+ ist auf jeden Fall eine Empfehlung für jeden Fan dieses Genres wert, fertig. Und ich habe mich anfänglich total geirrt, da meine Erwartungshaltung doch sehr „enttäuscht“ wurde. Das kommt nämlich davon, wenn man in solche Songs nur mal kurz reinhört. Erst in ihrer ganzen Länge nämlich entfalten sie ihre zweifellos vorhandene Klasse, obwohl der oben erwähnte Anspruch, uns niedere Erdenwesen endlich ins Licht und zu höherer Erkenntnis zu führen, definitiv zu hoch gegriffen ist.

Des Rätsels (von oben) Lösung, was uns der Autor damit eigentlich sagen will, ist schlicht, in dürren Worten ausgedrückt, das MILK+ mal was ganz Neues machen wollten. Also...
Kurz gesagt: So neu und innovativ ist das nicht, aber durchaus hörenswert!


Tracklist:
1. Celadoar 4:00
2. Zensmark 6:35
3. Paragon Negative &:06
4. Seksy Surprise 9:00
5. Stephead 6:04
6. Drencrom 5:06
7. Ephemerol 8:46(siehe “Scanners” (1981) von David Cronenberg)
8. Sythemesc 10:24
9. Who was Mr. Feldman 10:30
10. 409: Ichikawa Story 9:26

Line-up:
David Furrer – vocals, guitar
Navid Djawadi – bass
Christopher Czerny – drums
Anders Nyqvist – trumpets
??? – wer spielt eigentlich die Keyboards???

DISCOGRAPHY:

2006 - Zeropolis
2009 - Who Was Mr. Feldman

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Milk+ - Who Was Mr. Feldman (CD-Review)

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