Squealer-Rocks.de CD-Review
Twenty Sixty Six And Then - Reflections On The Future

Genre: Progressive Rock
Review vom: 24.08.2009
Redakteur: TheMattes
Veröffentlichung: bereits veröffentlicht
Label: United Artists Records



“Reflections and Obsessions”

Essay und Review

by:

TheMattes

THEMA:

Twenty Sixty Six And Then: “Reflections On The Future”, 1972

Stern-Zeit 18.330,63 - Logbuch des umherirrenden Trabanten TheMattes:

Jetzt sitze ich wieder hier und mache hartnäckig weiter. Die Geschichte scheint sich immer weiter zu entwickeln und nimmt mich auch immer mehr gefangen. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht darin verliere und nie mehr zurückfinde aus den Siebzigern. Komme mir nämlich langsam vor wie der Typ in „Life On Mars“. Eine wirklich gruselige Vorstellung: Stecken geblieben in den Siebzigern. Aber wer soll dann meine Frau und meine Kinder weiter mit harter Musik nerven?

TheMattes Ende.

[Vorsicht! Langer Text:
ca. 40.000 Zeichen oder 6000 Wörter!
Nix für Leute mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne!]


Es war einmal... [bevor es TWENTY SIXTY SIX AND THEN und „Reflections On The Future“ gab]

...eine (vermeintliche) Zeit der Unschuld, nämlich die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, mit den netten Pilzköppen aus Liverpool, den nicht so netten Jungs aus Dartford und den Rockern aus London, die die Helden der Mod-Bewegung waren.

...eine (vermeintliche) Zeit der Unschuld im Land der Unbegrenzten Möglichkeiten mit langen Haaren und Spaß erzeugenden Substanzen, jeder Menge bunt bemalter VW-Bullys und mit dem „Sommer der Liebe“ 1967 in San Francisco.

...eine (vermeintliche) Zeit der Unschuld wiederum in Amiland mit dem größten und chaotischsten, aber friedlichsten Festival, das die Welt bis dahin gesehen hatte. Es fand im August 1969 bei Bethel im Staate New York statt und hier zersägte Der Erste Regierende Gitarrenheld vor schlappen 500.000 Zuschauern das „Star Sprangled Banner“.
Dieses Festival heißt bis heute und für alle Zeiten „Woodstock Music and Art Fair“ (war aber in Bethel, 150 Meilen von New York entfernt), da die Plakate voreiligerweise schon gedruckt waren und nach der Verlegung für neue Plakate kein Geld mehr vorhanden war. Und mit den dort in den paar Tagen konsumierten illegalen Substanzen hätte man die Ostküste `nen Monat lang versorgen können.

...eine (vermeintliche) Zeit der Unschuld immer noch bei diesem gigantischen Festival und der ersten großen Renaissance des „Herrn der Ringe“ in den sechziger Jahren.
Der amerikanische Autor Stephen King hat einmal geschrieben, dass es bei diesem Festival ein halbes Dutzend Merrins und Pippins, doppelt so viele Frodos und zahllose Hippie-Gandalfs gab, denn diese Bücher waren in jenen Tagen mächtig beliebt. Auf sie gehen so fantastische Fantasy-Epen wie „Die Chroniken von Thomas Covenant“ von Stephen Donaldson und auch „Das Schwert von Shannara“ von Terry Brooks zurück, und natürlich die Serie um den „Dunklen Turm“ von Stephen King. Aber mit Musik hat das natürlich nix zu tun, nur mit meiner Absicht, möglichst viele Leute zum Lesen dieser Epen zu bewegen. Sie sind meist viel dicker als die Herr der Ringe-Bücher und meiner bescheidenen Meinung nach auch noch viel besser!

...das Ende der (vermeintlichen) Zeit der Unschuld, als bei dem Altamont Free Festival im Dezember `69 ein unter Drogeneinfluss stehender schwarzer Zuschauer von den Hells Angels erstochen wurde, nachdem er eine Waffe gezogen und versuchte hatte, auf die Bühne zu gelangen. Außerdem gab es durch Unfälle und Drogen noch drei weitere Tote. Selbst für amerikanische Verhältnisse war das ziemlich viel!

...das Ende der (vermeintlichen) Zeit der Unschuld gegen Ende der 60er Jahre, was sich durch das Auseinanderbrechen der Hippie-Bewegung in viele kleine, oft sehr politisierte, Teile dokumentierte. Es gab verelendete und auch gewalttätige Kommunen, wie die von Charles Manson, deren Mitglieder auf Befehl ihres Anführers die schwangere Schauspielerin Sharon Tate und vier weitere Personen, und einen Tag später noch zwei weitere Menschen, ermordeten. Manson und die Mörderin Susan Atkins haben ihre Taten bis heute nicht bereut.
By the way: Ich persönlich halte die Todesstrafe für barbarisch und unmenschlich, für mich ist es staatlich sanktionierter Mord, aber manchmal ertappe ich mich doch bei anderen Gedanken...

...das Ende der (vermeintlichen) Zeit der Unschuld, denn mittlerweile erwischte es immer mehr die Hauptakteure im Musikbusiness. Die meisten dieser Protagonisten hatten aber auch selbst Schuld, denn nach einigen Jahren intensivsten Drogenkonsums war das Ende zwangsläufig und abzusehen. Deshalb kam das Finale für Brian Jones (3. Juli 1969), Janis Joplin (4. Oktober 1970), James Marshall „Jimi“ Hendrix (18. September 1970) und Jim Morrison (3. Juli 1971) dann auch zwar ziemlich plötzlich, aber nicht unerwartet. Jedenfalls aus heutiger Sicht.

...eine Zeit, die in der Bundesrepublik Deutschland gar nicht unschuldig war. Überall saßen noch die alten Nazis auf wichtigen Posten in der Wirtschaft oder sprachen Recht.

Die 60er waren in ihrer ersten Hälfte nur die Ruhe vor dem Sturm, politisch wie musikalisch.
Politisch ging es demonstrativ (!) schon 1966 zur Sache, als der Schah von Persien von der Bundesregierung allzu freundlich empfangen wurde. Es kam die `68er Revolte, der Tod von Rudi Dutschke und die Entstehung der RAF (NICHT die britische Royal Air Force, sondern die deutsche terroristische Rote Armee Fraktion!), wodurch ein neues, blutiges Kapitel in der Geschichte unseres Heimatlandes aufgeschlagen wurde.
Musikmäßig waren diese Jahre eher eine öde Wüste, wo mehr oder weniger witzige Untalentierte versuchten, die amerikanischen oder englischen Rock ´n Roller zu kopieren (bei Peter Kraus und dem deutschen Schlager ganz allgemein gruselt es mich noch heute).

Genau genommen müsste ich jetzt so weitermachen:

...und die Wüste war öd und leer und der Herr sprach: „macht mir vernünftige Musik oder ich werde stinkig, verflixt noch mal!“

Und deshalb mache ich auch so weiter:

...und die Wüste war öd und leer und der Herr sprach: „macht mir vernünftige Musik oder ich werde stinkig, verflixt noch mal. Muss ich denn alles wiederholen?“

Gesagt, getan, und es tat sich langsam was. Vor allem im amerikanischen Rock `n Roll tat sich sogar allerhand. Er öffnete sich immer mehr auch Einflüssen aus anderen Genres, so dass sich in der zweiten Hälfte der 60er Jahre etwas entwickelte, was man heute die „Erste Psychedelische Ära“ des Rock `n Roll nennen könnte.

Dabei ging es dann schon ziemlich abgefahren zu, denn THE ELECTRIC PRUNES, THE SEEDS, THE LEAVES (mit „Hey Joe“!), THE AMBOY DUKES („Baby, Please Don’t Go“) oder THE MAGIC MUSHROOMS (von wegen „psychedelisch“ und „Pilze“!) machten plötzlich die etwas andere Musik, für die schon damals inoffiziell der Begriff „punk-rock“ geprägt wurde. Denn diese Bands taten nichts lieber, als sich auf der Bühne mit tierischem Vergnügen schlecht zu benehmen und allen sozusagen tatkräftig den Mittelfinger zu zeigen. Nebenbei: Es gibt da ein Foto von Johnny Cash, der es auch drauf hatte. So einen dicken, steifen und großen Mittelfinger habe ich in meinem Leben noch nie gesehen.
Dies war wohlgemerkt gegen Ende der 60er Jahre! Es gab deshalb auch keinen Zweifel, dass da etwas ganz Großes und Neues im Entstehen begriffen war.

Und nicht zu vergessen LED ZEPPELIN! Mit ihrem bahn brechenden Debutalbum von 1970 revolutionierten sie die Rockmusik. Der Krach nahm zu, „Mainstream“ war out und die Kreativität fördernde Substanzen waren „in“. Das führte in den Siebzigern zu so manchen extrem abgefahrenen musikalischen Experimenten: IRON BUTTERFLY mit „In-A-Gadda-Da-Vida“, Black Sabbath mit ihrem gleichnamigen Debutalbum, STEAMHAMMER (auch in Woodstock dabei) mit „Mountains“ und „Speech“, dessen progressiver, experimenteller Charakter die Fans verstörte und abschreckte, oder BIRTH CONTROL mit „Hoodoo Man“, die SCORPIONS mit „Lonesome Crow“, NEKTAR mit „A Tab In The Ocean“, ATOMIC ROOSTER, URIAH HEEP, JANE und GROBSCHNITT oder Beggars Opera aus Schottland usw. und so fort etcetera pepe und die ganzen WIRKLICH abgefahrenen Sachen des sogenannten Krautrocks in Deutschland, wo die Musiker, wie es sich damals gehörte, auf dem Land in irgendwelchen Kommunen lebten und rauchten, was das Zeug hielt.

Davon mal ganz abgesehen, glaube ich, dass vor allem das Jahr 1969 eine ganz besondere Bedeutung hat. Es gab sozusagen den Startschuss für alles, was von da an so passierte. 1969 gab es die erste Mondlandung und z. B. die erste Folge der kultigen englischen Fernsehserie „Monty Python’s Flying Circus“. Kennzeichen waren die Allgegenwart von psychedelischen Drogen und die fortschreitende politische Radikalisierung. Es machte sich weltweit so eine Stimmung breit nach dem Motto: „Anything Goes“ (geklaut bei Cole Porter!). BLACK SABBATH und JUDAS PRIEST z. B. fingen gerade erst an, sich auf die Socken zu machen, um berühmt zu werden und UFO wurden gegründet.

In diesem Jahr 1969 also erschien z. B. ein ganzer Haufen Platten, die selbst, oder deren Künstler alle historische Bedeutung für die weitere Entwicklung der Rockmusik haben würden.
Hier zunächst mal nur ein paar, die sich auch in meinem Plattenschrank befinden:

Led Zeppelin – I
The Who – Tommy

The Moody Blues – On The Threshold Of A Dream
Johnny Cash - At San Quentin

Obendrein erschienen noch Platten von u. a. ALICE COOPER, der JEFF BECK GROUP, DEEP PURPLE, FREE, THE NICE, THE BAND, YES und FRANK ZAPPA. URIAH HEEP haben das Jahr ganz knapp mit dem meiner Meinung nach phantastischen “Salisbury” (Okt./Nov. 1970) verpasst. Aber die Entwicklung nimmt sozusagen und offensichtlich Fahrt auf!

Aber mal im Ernst, so unter uns Pfarrerstöchtern, ich habe absolut nicht den Hauch einer Ahnung, ob das wirklich dahin führt, wo ich euch eigentlich hinführen will. Aber aus meiner persönlichen Sicht passt halt alles ziemlich gut zusammen.

Genau!

Denn die BEATLES segneten endlich das Zeitliche, (na, geht doch, oder wie THE CLASH 1979 in „London Calling“, spät aber immerhin, gesungen haben: „all that phoney beatlemania has bitten the dust“; ich wusste doch, dass ich diese Feststellung mal irgendwo würde anbringen können!) Diese Vergötterung geht mir langsam aber sicher schwer auf die ..., ähäm, Nerven Es soll ja jetzt sogar einen Master-Studiengang an der Hope-Uni in Liverpool über die Knaben und ihre Musik geben. ‚Tschuldigung, aber langsam reicht’s echt!
Es entstanden also jede Menge neuer Bands und darunter war eine, die in meinem persönlichen musikalischen Universum von nun an einen ganz bedeutenden Platz einnehmen sollte.

Es war nämlich schon wieder einmal...

...so ungefähr im Frühling 1971, quasi kurz nach der Währungsreform, also von heute aus betrachtet, ewig her, als sich ein paar Leute trafen und ganz spontan beschlossen, eine Band zu gründen. Sie nannten sich ebenso spontan TWENTY SIXTY SIX AND THEN (im Folgenden kurz TSSAT genannt). Und ebenso spontan beschlossen sie dann auch, sich im Sommer 1972 wieder zu trennen. Muss ja `ne heiße Zeit gewesen sein! Der Name entstand, indem sie zum Datum der historischen Schlacht von Hastings im Jahr 1066 einfach mal tausend Jahre hinzu addierten.

Und schon kurze Zeit später ergoss sich aus einem Zeitungskritiker folgende Beschreibung der Musik von TSSAT:

„Dominierend in ihren Nummern ist eine Dynamik, die sich bestimmend auf die harmonischen Entwicklungen in den komplex strukturierten Arrangements erweist. Wenn sich die Musiker einmal in alte Klischees des „Hardrock“ verirren, besitzen sie soweit Distanz zu den Klängen, daß sie durch exakt eingesetzte Verfremdung ihre Absichten klar herausstellen.“

Aha! Soso! Hört, hört!

Offenbar traten TSSAT schon im August 1971 zum ersten Mal auf und der Erfolg ihrer Konzerte lässt sich schlichtweg durch die Perfektion erklären, mit denen die Musiker ihre Instrumente beherrschten. Das war damals durchaus nicht selbstverständlich und im Laufe der Zeit griff dann immer mehr die Unsitte um sich, dass jeder Musiker, der auch nur halbwegs wusste, was er tat, im Verlaufe eines Konzerts seinen Solopart bekam (Bei einem Drumsolo habe ich immer ganz spontan Mordgedanken und sehe mich nach geeigneten Waffen oder viel Bier um!)

Auf jeden Fall war auch der Pressetext von United Artists/Liberty von 1972 eine einzige Hymne auf die Musiker von TSSAT. Ich fasse zusammen:

Veit Marvos war schon mit Fünf auf der Musikhochschule und studierte klassisches Klavier mit Abschluss und so. Bei TSSAT bildet er mit Steve Robinson das kreative Dreamteam und verwendet seine Kenntnisse in Harmonie- und Kompositionslehre zum Wohle der Band. Na klar, das war schließlich auch seine verdammte Pflicht!
Steve Robinson konnte schon mit vier Jahren Flöte spielen (die armen Eltern!) und beherrscht heute 6 (in Worten: sechs) Instrumente. Bei TSSAT spielt er zweite Orgel, Piano und Vibraphon und er bevorzugt als Komponisten den Altmeister Johann Sebastian Bach. Donnerwetter! Wofür der alte Joe nicht schon alles herhalten musste.
Gagey Mrozeck ist ein ziemlich normaler Musiker und spielt nur Gitarre.
Dieter Bauer brach die Musikhochschule nach zwei Semestern ab und spielt Bass.
Konstantin Heinrich Bommarius flog von der Musikhochschule, doch für seine Bandkollegen gehört er zu den besten Drummern, die sie kennen. (Äääh, wieviele kennen die denn?)
Der Sänger Geff Harrison sang schon in vielen Gruppen und lebte (angeblich) einst auf der sogenannten Schildkröteninsel, in einer englischen Kommune (ich tippe mal auf eine griechische Insel).

Damit der Lobpreisung nicht genug, es geht noch weiter:

„Der Erfolg ihrer Konzerte läßt sich leicht erklären: Alle Bandmitglieder sind Meister auf ihren Instrumenten. Durch eine außergewöhnlich harmonische Zusammenarbeit fanden sie zu Kompositionen, Texten und Arrangements, die durch neue Klangdimensionen des konzertanten Rocks selbst den verwöhntesten Musikfan noch überraschen können“....“Diese sechs jungen Leute stehen heute an der Schwelle einer ganz großen Karriere. Schon mit ihrem Start überzeugten sie Publikum und Kritiker.
TWENTY SIXTY SIX AND THEN ist eine Gruppe der Zukunft, nicht erst im Jahre 2066, sondern schon 1972. Sechs Individualisten mit enormem Können und Musikverstand. Ihre Platte „Reflections On The Future“ beweist es.“

Die Kritiker überschlagen sich weiter, das Publikum tobt und der Fan wundert sich: „Ihre Musik ist eine raffiniert ausgeklügelte Mischung aus allen erdenkbaren Stilrichtungen. Während andere Gruppen ihre Eigenwilligkeit durch eine lineare Richtung anzeigen, produzieren TWENTY SIXTY SIX AND THEN genau das Gegenteil; denn jede Nummer klingt für sich anders und abgeschlossen, sowohl in den spezifischen Harmonien als auch im Sound.“

„Dominierend in ihren Nummern ist eine Dynamik, die sich bestimmend auf die harmonischen Entwicklungen in den Komplex strukturierten Arrangements erweist. Wenn sich die Musiker einmal in alte Klischees des „Hardrock“ verirren, besitzen sie soweit Distanz zu den Klängen, daß sie durch exakt eingesetzte Verfremdung ihre Absichten klar herausstellen.“

Darauf ein AMEN!

Und wisst ihr was? Die Kritiker hatten Recht!

Da kann ich unmöglich widersprechen, aber außer mir haben es wohl gar nicht so viele mitgekriegt, denn die Band gab es nicht sehr lange. Angeblich trennten sich die Musiker wieder, nachdem die Verkaufszahlen zu gering waren. Wenn es danach ginge, würde es wahrscheinlich kaum Gruppen geben, die noch `ne zweite Platte machen. Irgendwie traue ich der Begründung nicht, die ich im Netz auch nur einmal gefunden habe.

Aber egal! Im Jahre des Herrn Neunzehnhundertundzweiundsiebzig gebar dann also endlich eine dieser unschuldigen und ahnungslosen Pressmaschinen ein schwarzes Etwas, das die Welt revolutionieren wollte.

Druckfrisch und dampfend präsentierte sich dieses tadellose runde geile Ding den staunenden Mitarbeitern der Plattenfirma United Artists. Mit glänzenden Augen sahen sie...

…eine Offenbarung in Vinyl:
TWENTY SIXTY SIX AND THEN und ihr Debutalbum „Reflections On The Future“. Hosianna!

Also haltet euch fest, cremt euch die Augen ein und holt euch noch was zu trinken, denn hier ist jetzt das ultimative und definitiv beste und emotionalste und lesenswerteste Review von DEM Fan überhaupt für TWENTY SIXTY SIX AND THEN und „Reflections On The Future“ von 1972.

„Applaus! Applaus!“ wie Kermit, der Frosch immer jubilierte.

„*Hmmmmrrrr* *räusper* *schluck*“

...and here we go:

Wie es sich für eine anständige progressive Rockplatte gehört, sind nur fünf Stücke enthalten, die dafür aber sehr unterschiedliche Spielzeiten haben. (Der Vergleich macht genauso genommen doch keinen Sinn, oder?).
Auf jeden Fall beginnt es mit dem schnellen „At My Home“, einem sehr keyboarddominierten, breakreichen Stück (trotz der Kürze), aber mit starkem Groove und dreisten Riffs und Melodieläufen von Keyboard und Gitarre. Die Leadgitarre ist meist extrem verzerrt und das Keyboardspiel erinnert an den Tastenhexer Vincent Crane von ATOMIC ROOSTER (Hits: „Tomorrow Night“ und „Devil’s Answer“! Von 1972 bis 1974 sang da übrigens Chris Farlowe, der später COLLOSSEUM veredelte!)
Das Tempo steigert sich im instrumentalen Mittelteil, um dann im letzten Drittel zu der Figur vom Anfang, also der grundlegenden musikalischen Wendung melodischer Art, zurückzukehren. In der Kürze liegt hier eben auch die Würze!
Besonders zu erwähnen ist hier der raue und ungeschliffene Gesang von Geff Harrison.
Vom Text her würde man eher einen Bluessong vermuten, denn es geht um einen wilden jungen Mann, der auszieht, um die Welt zu sehen. Er ist überall und nirgends zuhause und sehnt sich zurück nach seinem sicheren Heim und der damit verbundenen Behaglichkeit und Bequemlichkeit. Wie man jenseits der 30 eben so drauf ist, hehe. So weit, so normal für die Zeit.

Beim längeren „Autumn“ hört man anfänglich nur eine leise gezupfte Bassseite (keine Ahnung welche, aber ist auch nicht wichtig) und, auch ganz leise und getragen, ein Mellotron, das wohl ein Vibrafon imitiert (oder ist das irgendwas mit Perkussion oder Synthesizer? Man weiß es nicht.). Dabei scheppert die Hi-Hat und wir steigen ein in einen von lauter werdenden Riffs getragenen entzückenden Groove. Diese Einleitung geht über in einen ziemlich hektischen Keyboardrhythmus und es wird proggig. Der Gesang wird dann unterstützt von einem schönen mittelschnellen Groove von Drums und Bass, der in die Füße geht.

Melodisch ein Traum! Das Ganze mündet in ein Leadsolo vom Feinsten mit anschließender Temposteigerung. Break hier, Break da und auch meine Begeisterung wächst! Der Gesang hat die gewisse grübelnde Komponente und bildet einen starken Kontrast zu der doch recht hartrockigen, kraftvollen, energiegeladenen, aber auch verspielten Mucke. Leise, verträumt und langsam geht’s dann zu Ende.
Der Text dreht sich um den Wechsel der Jahreszeiten als Metapher für das Vergehen der Jahre und damit wieder das Älterwerden. Je älter man wird, desto schneller vergehen die Jahre, ob ihr’s glaubt oder nicht! Dabei macht die alljährliche Herbstdepression die Sache auch nicht besser. Aber vergleicht diesen Song mal mit PINK FLOYDs „Time“, nur so zum Spaß!


Und jetzt kommt es oder vielmehr ER, der „Butterking“. Thema dieses Songs ist: „Mit dem Schmetterling auf Du und Du“.

Es beginnt mit einer hübschen Einleitung aus Vogelgezwitscher und Grillengezirpe. Irgendein Kerl schlägt sich durch die Botanik und dann sagt der doch tatsächlich: „Ey, a butterfly!“ Da hol mich doch dieser und jener, eine geradezu nobelpreisverdächtige Eröffnung. Ich habe mal gehört, dass, wenn man durch die Botanik stapft, man dann doch von Zeit zu Zeit durchaus der Natur in Form von Pflanzen und Tieren begegnen kann. So!
Der Knabe ist also völlig überrascht, als er ein Tier in Gestalt eines sprechenden(!) Schmetterlings trifft (Sen-sa-zio-nell! die Red.) Ihr sagt es! Sologesang, gern auch verzerrt, setzt ein, unterbrochen von einem hardrockigen und keyboardigen Crescendo. Es folgt Klaviergeklimper wie aus einem Slapstickfilm, aber nur kurz, denn dann setzt ein Groove mit einer Hookline ein, die erstens vom Feinsten ist und sich zweitens unvergesslich ins Stammhirn einbrennt. Unser Botaniker fliegt dann mit dem Schmetterling ins Land des BUTTERKINGS, der nicht Mensch, sondern ein Gott ist!!! Dort treffen sie zusammen mit vielen anderen Menschen (muss `ne gute Ernte gewesen sein, damals, so THC-mäßig) nämlich den „Butterking“, was unvermeidlicherweise natürlich Breaks und verschiedene Tempowechsel zur Folge hat und dazu eine jubilierende Leadgitarre. Zu Ende geht dieses geniale Stück Progrock mit demselben Wechsel von Gesang und Krach wie am Anfang.
Supi! Dä Hammä, wie sie in Schwaben sagen! Ich habe aber den leisen Verdacht, dass die Jungs das Stück selber nicht so ganz ernst genommen haben, denn die Grabesstimme, die zwischendurch „The Butterking“ grunzt, hat mehr etwas Ironisches.

ABER:...

Ungeachtet aller Gags: ein sauguter Song!

TROTZDEM...

Was, um alles in der Welt, beim Heiligen Kerouac („On The Road“), muss man geraucht haben, um so ein Stück Musik komponieren und spielen zu können oder überhaupt zu wollen?

VOR ALLEM...

Was, um alles in der Welt, beim ebenso Heiligen Borroughs („Naked Lunch“), muss in der Tüte gewesen sein, um den „Butterking“ sehen zu können oder sehen zu glauben oder überhaupt sehen zu wollen?

UND SO ODER SO..

Wie bekifft muss man sein, um die Existenz eines „Butterking“ überhaupt in Erwägung zu ziehen?

Wat ham wir jelacht!

Nun gut, weiter im Text.

Denn jetzt folgt der Song, der seit den Siebzigern in meinem Schädel umhermäandert, der vielleicht meinen Musikgeschmack irgendwie mitgeprägt hat. Wer weiß das schon?
Vielleicht habe ich deswegen einen so komischen Geschmack, wie ein Kollege mal, durchaus richtigerweise, bemerkt hat?
Apropos komischer Geschmack: kennt jemand zufällig das französische Konzeptalbum „L’Opera Vert“ von ERIC CHARDEN (1978), so eine Art Umweltschutz-Öko-Science-Fiction-Musical (frz.: „opera ècologique)? Habe ich `78 in einem Pariser Plattenladen fast blind gekauft. So `ne Art Melodic Pop-Rock-Symphonie, richtig tolle Musik, äährlich! Ich fresse auf der Stelle einen Besen, wenn außerhalb Frankreichs davon ein zweites Exemplar, außer meinem natürlich, existiert.
Oder kennt jemand das Tripple-LP-Konzeptalbum „Proletenpassion“ der österreichischen Politrockgruppe „SCHMETTERLINGE“ (1977)? Naaaa?
Vielleicht kann ich TSSAT da irgendwie zur Verantwortung ziehen, dass ich so was gut finde?

Aber will ich das überhaupt?

Vielleicht sollte ich ihnen aber auch dankbar sein, dass ich nicht zur Plastikpop-, HipHop- oder Sonstwie-Fraktion gehöre?

Vielleicht sollte ich TSSAT eher böse sein, dass sie nur ein einziges solches Götterstück durch die PA gejagt haben? Mehr von so was wäre vielleicht aber auch gar nicht auszuhalten.

Vielleicht habe ich aber auf dem Flohmarkt (oder in der Sesamstraße) neulich zu viele sehr preiswerte „vielleicht“ gekauft und weiß jetzt nicht, wohin damit? Zurück in die Sesamstraße vielleicht? Siehste,

wieder eins weg!

Und damit sind wir beim AB-SO-LU-TEN Glanzstück, dem Titelsong himself, dem genialen „Reflections On The Future“ in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit.
Ein Song wie eine Oper und es beginnt mit einer kurzen Ouvertüre, schnellem Basslauf, hartem Groove. Nach einer Minute breakt sich das Stück in das langsame, melodische Titelthema mit einer sagenhaften Hookline, mon Dieu!

Getragen wird dieser Teil vom Keyboard und dem Bass, dann begleitet das Schlagzeug den zunächst ruhigen, später emphatischen Gesang von Geff Harrison. Dieses ruhige, mir unvergessliche Hauptthema und sein nicht minder vergesslicher Refrain werden während des Stücks mehrfach wiederholt und verbinden so die doch sehr unterschiedlichen Teile von „Reflections On The Future“.
Danach wird’s hektischer und proggiger, leicht jazzig und es beginnt, eingeleitet von vibraphonähnlichen Klängen, der laute, groovige, sich stetig steigernde, fast schon swingende Teil mit herrlicher Sologitarre, die sich schlussendlich in höchste Höhen jubiliert. Das geht tierisch in die Beine und alles zuckt, bis sich nach der Hälfte des Stücks wieder das Hauptthema samt Refrain anschleicht.
Anschließend wird’s endgültig psychedelisch und das Stück nimmt mitsamt seinem Groove sozusagen Anlauf um, immer schneller und schneller werdend, in einem höchstwahrscheinlich pilzinduzierten Fiebertraum oder eine psychedelischen Reise ins Unterbewusste oder in fremde Galaxien oder in die unergründlichen Geheimnisse von Stonehenge zu münden. Diese mehr als dreiminütige Soundkollage erinnert stark an den psychedelischen Teil gegen Ende des Kubrick-Films „2001 – Odyssee im Weltraum“ von 1968.

Dazu sagte Stanley Kubrick mal: "Wenn Sie 2001 vollständig verstanden haben, haben wir versagt. Wir wollten viel mehr Fragen stellen, als wir beantworten können."
Das ist ihnen zweifellos gelungen. Der Grund liegt aber eher darin, dass die literarische Vorlage zu „2001“, die SF-Novelle „The Sentinel“ („Der Wächter“, 1948) von Arthur C. Clarke ziemlich abrupt zu Ende geht. Den Film so enden zu lassen, kam natürlich nicht in Frage, aber was tun? Während des Drehens war das Drehbuch immer noch nicht komplett zu Ende geschrieben, und Stanley Kubrick und Arthur C. Clarke (als Drehbuchautoren) zermarterten sich das Hirn, wie man einen für die Zuschauer irgendwie befriedigenden Abschluss zustande bringen könnte. Also erdachten sie diesen Schluss mit einer farbenfrohen audio-visuellen Reise wohin auch immer und dem bekannten Ende mit dem Greis, der sich zum Baby verjüngt, und der in offensichtlich von einer fremden Macht erbauten Kulissen aufwacht.
Es gibt keine Erklärungen, denn das Ganze sollte eben nur visuell (schließlich haben wir es hier mit Stanley Kubrick zu tun, dem visuellsten Regisseur überhaupt!) diesen Film beenden, obwohl natürlich dadurch die Fragen nicht weniger wurden.

"Ich versuchte, eine visuelle Erfahrung zu schaffen, eine, die sich der Verbalisierung entzieht und deren emotionaler und philosophischer Gehalt direkt ins Unterbewusstsein dringt."

Genau das ist auch der Sinn und Zweck dieses psychedelischen Interludiums bei „Reflections On The Future“. Ein jazziges Creschendo läutet diese Reise in die Tiefen des Wo-Auch-Immer ein und vor meinem geistigen Auge entstehen Farben und Formen und das Gefühl einer rasenden Geschwindigkeit, unterwegs wohin auch immer.

Den Schluss klickt ein Metronom ein, mit dem schnellsten der langsamen Tempi, einem Adagio mit so ca. 72 Schlägen pro Minute (war das detailliert genug?) und es ertönt wieder das Hauptthema inklusive Refrain und letzter Strophe. Dabei steigert sich „Reflections On The Future“ mit einem „crescendeo“ zu einem wahren „forte fortissimo“ und faded dann langsam weg.

So! Und jetzt ist es an der Zeit für eine Klarstellung, die weit über die Grenzen dieses Albums hinausgeht. Denn entgegen anderen Meinungen stelle ich nämlich hier und jetzt und für alle Zeiten fest, dass die starke Gliederung des Stückes gerade seine Stärke ist. Ich mag so was! Nur müssen die verschiedenen Teile eines Stückes auch miteinander verbunden werden, um es als eine Einheit erscheinen zu lassen. Und das ist die Kunst!

Bei „Reflections On The Future“ ist diese Kunst gelungen, so dass die Teile eben nicht beliebig auch in anderen Stücken verwendet werden könnten. Der Wiedererkennungswert ist somit extrem hoch, auch durch die bezaubernde Hookline und den unvergesslichen und unvergänglichen Refrain und den fantastisch- rauen Gesang von Geff Harrison! Sein Text für „ROTF“ handelt von dem Weg in die Zukunft aus dieser bösen Welt, um die Bibel und die Fehler der Vergangenheit mit ihrer Gier, ihrem Hass und der Rache. Nebenbei erwähnt wird Stonehenge und das die Lösung irgendwo in unseren Köpfen ist.

Als letzten Song gibt’s das sehr melodiöse „How Would You Feel“ in einer allerdings stark gekürzten Version. Die ursprüngliche Version gibt’s dann live auf der zweiten LP. Hier jedenfalls erleben wir ein vor Breaks strotzendes, im Midtempo gehaltenes Stück mit variablem Gesang. Der Drumsound ist sehr hell und Bässe gibt’s eigentlich nur so richtig vom, ihr ahnt es schon, Bass, genau. Auch dieser Song beginnt verhalten, steigert sich aber bis zum Schluss immer mehr. Sehr hübsch!

Da es sich bei dieser Neuveröffentlichung um eine Doppel-LP handelt, kann ich natürlich die zweite Platte nicht komplett weglassen. Deshalb hier der Vollständigkeit halber ein paar Worte zur zweiten LP.
Sie besteht aus einigen Amateuraufnahmen eines Auftrittes von TSSAT im Jahre 2002 in Ladenburg und in Bootleg-Qualität, die man sich mal anhören kann, aber es nicht muss. Das Verhalten der Musiker, bzw. ihre Dialoge deuten für mich zudem darauf hin, dass ihnen die ganze Sache doch irgendwie peinlich ist. So von wegen dem Alter, der mangelnden Übung und so. Das Stimmengewirr im Hintergrund zeigt auch ein gewisses Desinteresse des Publikums.

Die zusätzlich vorhandenen so genannten Outtakes sind qualitativ noch schlechter *schüttel*.

So!

Das war's jetzt!

Reicht schließlich auch, oder nicht?

Äähm, eine Kleinigkeit hätte ich noch!

Es stellt sich natürlich dem einen oder anderen geneigten Leser die vielleicht gar nicht so unwichtige Frage, warum denn der Mattes hier an verbaler Diarrhöe zu leiden scheint und die Zeilen nicht halten kann.
Wie kam es denn überhaupt zu dieser Begegnung mit der Hoffnung des progressiven Rock, die nur einen Sommer (oder so, nagelt mich jetzt nicht fest) tanzte?
Warum hat ausgerechnet der Mattes die Bekanntschaft von TSSAT gemacht und die meisten anderen nicht?

Deshalb noch mal...

...es war einmal...

...ein kleiner Mattes, der Anfang der Siebziger einen Kassettenrecorder von seinen Eltern geschenkt bekam und diesen fortan für Musikaufnahmen aus dem Radio nutzte.

...ein ständiger Kampf mit vorne und hinten reinquatschenden Moderatoren (ich habe ihnen jedes Mal die Pest an den Hals gewünscht und das sie elendig verrecken mögen) und der Tatsache, dass es auch damals kaum gute Musiksendungen gab, allerdings noch mehr als heute.

...die Hitparade „Diskothek im WDR“ mit Mal Sondock (gest. 9.6.2009), wo von Jürgen Drews über Benny Hill und Abba bis zu Black Sabbath alles vertreten war, denn es gab ja keine andere Hitparade. Und im Fernsehen lief sonntags „Bonanza“ mit dem Kanadier Lorne Greene (nebenbei erfolgreicher Sänger, deutsche Synchronstimme war Friedrich Schütter) Von ihm gibt es übrigens eine Single mit der Titelmelodie und Text natürlich! Hab ich grad in der Hand: Auf der zweiten Seite ist der Song „Ringo“, mehr erzählt als gesungen, von 1963, mit der er Platz 1 der Singlecharts in den USA erreichte, cooool!

...der BEATCLUB mit Uschi Nerke und allen damals mehr oder weniger bekannten Musikanten, die dabei häufig mehr oder weniger unfreiwillig komisch wirkten und agierten. Der Regisseur begann der Abwechslung halber nach einiger Zeit, mit wilden Schnitten, Bildverfremdungen und Farborgien der Musik auch optisch (meist doch sehr übertrieben) auf die Sprünge zu helfen, denn schließlich war „psychedelisch“ gerade ungeheuer angesagt. Sag ich doch! Allerdings habe ich viele Sendungen erst viel später gesehen, da meine Eltern damals irgendwie dagegen waren. Skandalös! Ebenso skandalös war natürlich auch, dass ich schon 1966 die Erstausstrahlung von RAUMPATROULLIE nicht sehen durfte, aber das nur nebenbei!

...eine Medienlandschaft beim WDR mit den beiden wichtigeren Rockmusiksendungen „Rock In“ mit Winfrid Trenkler (mit Rockmusik, wie der Name schon sagt) und „In Between“ mit Michael Rüsenberg (ging, wenn ich mich recht entsinne, erst bei Jazzrock los, z. B. Terje Rypdal habe ich da zum ersten Mal gehört).

...ein ganz anderer Sender, wo die Moderatoren ständig Englisch quatschten und exaktamundo dort habe ich TSSAT zum ersten Mal gehört. Hier lief im Allgemeinen die bessere Musik, nämlich diesmal, vielleicht 1973 oder so „Reflexions On The Future“ und der Sender war der „BFBS in Germany“, der britische Soldatensender in Deutschland. Mir ist bis heute rätselhaft, warum ich nach ein paar Sekunden die beiden Tasten zum Aufnehmen gedrückt habe, denn der Beginn war eigentlich für meinen damaligen Geschmack ziemlich krawallig. Aber diese E-Gitarre und dieser harte Groove hatten es mir wohl angetan, so dass ich zumindest nicht den Austaste drückte. Welch ein Segen! Es hat manchmal auch Vorteile, wenn man nicht so schnell reagieren kann.

...eine gut 15-minütige Aufnahme, die im Laufe der Jahre immer dumpfer wurde, und die ich kultig verehrte. Sie wurde später auf ein Tonband überspielt, aber dadurch natürlich nicht wirklich besser. Meine Rettung war dann eine mildtätige Seele mit einem Stand für alte Platten ca. 1984/85, der zwar meinte, dass diese seine eigene Platte so 120 Deutschmarks unter Freunden wert wäre, aber natürlich unverkäuflich ist. Selbstmurmelnd hätte ich soviel Geld niemals ausgegeben, aber der barmherzige Samariter bot mir an, die Platte auf eine Musikkassette aufzunehmen. Ich brauchte nur die Kassette zu bezahlen und bekam dafür zwei komplette, qualitativ gute Aufnahmen auf Vorder- und Rückseite der MC. Sensationell!

...das (vermeintliche) Ende der Schallplatte und der Musikkassette, und mir stellte sich die nicht unwichtige Frage nach der Zukunft meiner Platten- und Kassettensammlung.
In Geschäften bekam man auf die Frage nach einer Plattennadel mittlerweile meist nur höhnisches Gelächter zu hören (in Online-Shops waren die Dinger zudem richtig teuer). Zwar haben meine Musikanlagen zu Hause immer noch Kassettendecks, aber trotzdem mussten die Kassetten ja irgendwie digitalisiert werden, da auch ich mit meinen MP3-Playern seit geraumer Zeit in diesem dritten Jahrtausend angekommen bin. Für die Kassetten habe ich bis heute keine Lösung gefunden, aber zum Glück gibt’s seit geraumer Zeit Plattenspieler mit USB-Anschluss und entsprechender Audio-Software. Jetzt fehlte nur noch ein Vinyl-Exemplar meiner meistgesuchten Platte (CDs kamen logischerweise nicht in Frage!), was durch die erschütternd hohen Preise für die Originale zunächst mal sowieso ausfiel.

Aber dann...

Zum Ende des Jahres des Herrn 2008 erschien eine limitierte Vinyl-Neuauflage, und das für einen normalen Kurs. Für mich also zu einem geradezu lächerlichen Preis, genau genommen war das geschenkt, mehr so eine Art höheres Porto!

Seit ein paar Monaten bin ich also im Besitz dieses Schatzes in Form einer schweren Doppel-180g-Viny-Edition in 1000er Auflage, was mich zwangsläufig zu diesem schriftlichen Erguss getrieben hat. Der aber seine Zeit gebraucht hat, denn Gut Ding will eben Weile haben! Aus dem 8-seitigen Booklet habe ich ausführlich zitiert und die Texte sind auf der linken Platteninnenseite (nicht im Booklet!) in einer Größe abgedruckt, die man auch ohne Elektronenmikroskop lesen kann. Rechts gibt’s ein, na ja, „künstlerisches“ Schwarz-Weiß-Foto der Bandmitglieder, die gegen eine riesige Plastikfolie kämpfen. Die Rückseite wird dann wieder von einem ähnlichen Bild geziert wie vorne. Aber trotzdem auch schön!

Wie kann ich TSSAT und die Musik nochmal kurz beschreiben? Sie machen psychedelisch-progressiven Artrock mit Keys, harten verzerrten Gitarren und spinettartigen Percussionslinien. Der bluesige Gesang von Geff Harrison ist mal atonal oder mit viel Hall, sehr rhythmisch und melodiös mit ner Menge Hooklines *gänsehauthaaraufstell*, auch rau und ungeschliffen.
Geff Harrison war später bei Demon Thor und Kin Ping Meh, das ist chinesisch für „Pflaumenblüte in der goldenen Vase“, auch der Titel eines chin. Sittenroman aus der Spätzeit der Ming-Dynastie, der berühmt ist für seine erotischen und pornographischen Passagen, wobei allein der Titel schon schlüpfrig genug ist *klugscheiß*. Und die wahren Gründe für den Split von TSSAT würden mich auch brennend interessieren. Ich kann auch schweigen wie ein Grab! Versprochen!

Die Tracks enthalten viele Breaks und Tempowechsel sowie komplexe Songstrukturen. Das Wechsel- und Zusammenspiel von Gitarre und Hammond verleiht den Songs ein ganz eigenes Flair, während die Texte ihrer Zeit gemäß naturbezogen sind. Denn Hippiezeit ist Blumenzeit, meine Brüder und Schwestern im Geiste. Auch zogen damals die Mystik und das Geheimnis von Stonehenge viele in den Bann! Aber auch heute hat der Ort nichts von seiner Faszination verloren. Denn am 21.06.2009 war wieder Zeit für die Sommersonnenwendfeier in Stonehenge. Mit dem Beginn um 4:58 Uhr eröffneten die Druiden die Feierlichkeiten in dieser kürzesten Nacht des Jahres vor mindestens 35.000 (!) interessierten Besuchern am Weltkulturerbe in Südwestengland. Und es hat nur 25 Festnahmen wegen kleinerer Drogendelikte gegeben. Meinen Respekt allen Beteiligten!

Stilistisch ist „ROTF“ eine Mischung aus IRON BUTTERFLY und BIRTH CONTROL, wobei an manchen Stellen BEGGARS OPERA zu hören ist. Und vom Keyboardspiel von Vincent Crane kann sich Jon Lord noch `ne Scheibe abschneiden. Yessir! Vergleichbar vielleicht z.B. noch mit: „Salisbury“ von URIAH HEEP, das auch so gut 16 Minuten geht und einen ähnlichen Aufbau hat und „Solar Music“ von GROBSCHNITT mit in seiner kurzen Studioversion geradezu lächerlichen 33 Minuten.

ROTF ist progressiver psychedelischer Rock, oder wie es die Engländer nannten: „heavy psychedelic Krautrock“ und „Krautrock“ haben die Engländer zu allem gesagt, was aus Deutschland kam. Egal ob UDO LINDENBERG oder EPITAPH, CAN oder HAIRY CHAPTER, JANE, FRUMPY oder BIRTH CONTROL, ELOY, GURU GURU; KLAUS SCHULZE oder Romantikverehrer wie NOVALIS oder NEKTAR oder WALLENSTEIN oder BRÖSELMASCHINE, TANGERINE DREAM oder PASSPORT (heute auch bekannt als KLAUS DOLDINGERS PASSPORT, der Jazzband mit internationalem Renommee, 1971 allerdings mit Udo Lindenberg am Schlagzeug!!!
Damals haben buchstäblich alle Beteiligten in Deutschland den Begriff „Krautrock“ gehasst wie die Pest, da er alle Bands über einen Kamm scherte. Er kam zudem aus England, was schon Grund genug war, ihn zu hassen. Wir sind eben „Krauts“ (die glauben allen Ernstes, dass alle Deutschen Eisbein mit Sauerkraut mögen und vor allem essen!), was nicht nett ist oder klingt, aber es sind halt Engländer und da lege ich großzügigere Maßstäbe an und will mal nicht so sein.

TSSAT waren eigentlich mit diesem Album in den Olymp des progressiven Rock aufgestiegen, aber selbst die Musiker hatten es nicht gemerkt.

Die hier vorliegende Veröffentlichung von Ende 2008 ist perfekt aufgemacht. Dickes Vinyl und stabiler Karton, glänzender bunter Cover-Druck auf Vorder- und Rückseite, innen schwarz-weiß und schönes großes 8-seitiges Booklet. Eine Doppel-LP wie früher. *schnüff*

Aufgenommen wurde damals in dem neuen Tonstudio von Dieter Dierks, dem neuen Stern am Produzentenhimmel, so richtig in Stereo, also nur zwei Boxen, eine links, die andere rechts, kein blödsinniger 5.1-Schnickschnack.

Ach ja, noch ein Wort zum Bandnamen und an alle Millimeterficker (also auch an mich! Tschuldigung!), denn der Name TWENTY SIXTY SIX AND THEN schreibt sich wirklich OHNE den Bindestrich zwischen SIXTY und SIX, warum auch immer.

So! Schluss! Aus! Ende! Finito! Feierabend! Schicht im Schacht!

Ich geh jetzt und wisch mir die Tränen des Glücks und der Freude und der Ergriffenheit aus dem Gesicht, die dieser Meilenstein, dieses Meisterwerk, diese Hymne, dieser Festgesang, dieses Prachtexemplar von einer progressiven Rockplatte, hat fließen lassen. Außerdem muss ich noch meine Gänsehaut bügeln.

Deshalb: Habe die Ehre!

TWENTY SIXTY SIX AND THEN: „Reflections On The Future“ von 1972; ursprünglich erschienen bei United Artists Records UAS 29314. Der Zettel mit dieser Bestellnummer aus einem alten Plattenkatalog hängt buchstäblich seit Jahrzehnten an meiner Pinwand.

Track List:
Seite 1:
At My Home 5:03
Autumn 9:05
Butterking 7:10

Seite 2:
Reflections On The Future 15:47
How Would You Feel 3:21

Seite 3:
Butterking Live 2002 9:05
At My Home Live 2002 13:22

Seite 4:
How Would You Feel Live 2002 9:19
Winter Outtake 1971 7:16
I Saw The World Outtake 1971 4:35

Line up:
Veit Marvos – organ, e-piano, piano, mellotron, percussion, vocals (EMERGENCY)
Reiner Geyer alias Steve Robinson – organ, e-piano, vibes, synthesiser
Geff Harrison – lead-vocals (KIN PING MEH, HARRISON PANKA NADOLNY BAND)
Gagey Mrozeck – electric & acoustic guitar, vocals (KIN PING MEH)
Dieter Bauer – bass guitar (AERA)
Konstantin Bommarius – drums (ABACUS, KARTHAGO)

© By TheMattes; written between November 2008 and August 2009

DISCOGRAPHY:

1972 - Reflections On The Future
???? - Reflections! CD
???? - Reflections On The Past, CD
2008 - Reflections On The Future (Doppel-LP), second battle

SQUEALER-ROCKS Links:

Twenty Sixty Six And Then - Reflections On The Future (CD-Review)

SONSTIGES:

BANDHOMEPAGE
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