Stefan Hertrich von SpiRitual
(16.11.2006, Interview geführt von Jack)
Nach der jahrelangen musikalischen „Gefangenschaft“ im klassischen Gothic Metal Genre will Stefan Hertrich, seines Zeichens einst Frontmann von Darkseed, nun der Musik nachgehen, mit der er sich auch uneingeschränkt identifizieren kann. SQUEALER.net sprach mit ihm über sein neuestes Projekt SpiRitual, ethnologische Gedanken und vieles mehr...
Squealer.net: Hallo Stefan! Mit PULSE und dem daraus entstandenen Projekt SpiRitual wagst du dich wieder einen Schritt vor die Darkseed Tür zu treten. Manch einer wird sich sicherlich fragen, warum das Ganze nicht einfach unter dem Banner Betray My Secrets oder Shiva In Exile geschehen konnte. Ich denke, das stand überhaupt nicht zur Debatte, oder liege ich da falsch?
Stefan Hertrich: Shiva In Exile ist ein weiteres Ethno-Projekt von mir, allerdings ohne Metal, sprich: Ethno Gothic/Soundtrackmusik, daher wäre da brachiale Gitarren Fehl am Platze gewesen und den New Age Freaks hätte es wohl die Sandalen weggehauen. Shiva In Exile wird metalfreie Zone bleiben, wenn auch das zweite Album nach ETHNIC, an dem ich gerade herumbastle, sehr düster ausfallen wird. Betray My Secrets hätte sich angeboten, schließlich handelt es sich dabei um ein Ethno Metal-Projekt, das ich 1999 zusammen mit Christian Bystron von Megaherz ins Leben gerufen habe. Nach einer veröffentlichten Scheibe im gleichen Jahr haben wir das Projekt jedoch auf Eis gelegt, da er mit Megaherz und ich mit Darkseed zu viel zu tun hatte. Als ich dann letztes Jahr eine neue Ethno Metal-CD machen wollte, dachte ich eigentlich schon an den Namen Betray My Secrets, aber da Christian keine Zeit für eine intensive Zusammenarbeit hatte, wäre der Name irgendwie unpassend gewesen. Daher die neue Namensgebung SpiRitual. Sollte Christian aber 2007 mehr Zeit haben und fest einsteigen (er hat bei SpiRitual’s PULSE immerhin einige sehr coole Gitarrensolos aufs Parkett gezaubert), würden wir wohl dennoch unter dem Banner SpiRitual weitermachen. D.h. Betray My Secrets ist ad Acta gelegt.
Squealer.net: Auf PULSE stößt du stellenweise in äußerst extreme Musikgefilde vor und wirst ganz gewiss den einen oder anderen, der sich aus alter Darkseed Verbundenheit das Album zugelegt hat, mächtig fordern. Diesen Effekt nimmst du gerne in Kauf, um deine Kreativität ausleben zu können, oder?
Stefan Hertrich: Ich mache die Musik ja in erster Linie für mich selbst *schnarch* (Standardantwort, hehe). Nein, also natürlich freue ich mich, wenn Darkseed-Fans meinen Werdegang auch nach der Darkseed-Zeit weiterhin mitverfolgen, allerdings kann ich verstehen, wenn dem ein oder anderen ethnische Musikelemente nicht gefallen. Darkseed war eine klassische Gothic Metalband, SpiRitual ist das genaue Gegenteil. Aber auch viele Darkseed-Fans werden älter und haben das Bedürfnis, nach 10-15 Jahren „normalem Metal“ mal etwas Neues zu entdecken (was nicht heißt, dass „neu“ gleichzeitig „besser“ ist, es ist halt was anderes, Frisches). Außerdem kann und will ich keine Musik machen, hinter der ich nicht 100% stehe, daher kann ich mich nicht nach dem Geschmack der Fans richten, womit wir dann doch bei „Ich mache Musik ja in erster Linie für mich selbst“ angekommen wären, hehe.
Squealer.net: Wenn wir sagen, dass PULSE die härteste Scheibe deiner Musikerkarriere darstellt, dann müssen wir dem im selben Atemzug anfügen, dass das Album durch den extensiven Einsatz der ethnologischen Elemente auch das besinnlichste ist, an dem du je gewerkelt hast. Inwiefern lag es dir heuer am Herzen die Ethnologie mit der Metalmusik zu verbinden und welche Rolle spielt dabei Dr. PH. Christian Rätsch?
Stefan Hertrich: Ja, das kann man so unterschreiben. Eigentlich ist das Album völlig paradox. Einerseits die runtergestimmten Gitarren und das Geschrei, andererseits aber absolut positive Texte. Ich denke, da habe ich durchaus den einen oder anderen Blackmetaljünger ins Boxhorn gejagt, ohne dass er es beim Hören und Bangen gemerkt hat (mit Ausnahme einiger Undergroundmagazine, die sich die Mühe machen, das Album auf mehreren Seiten zu zerreißen, weil eine positive Message ja schlecht für die Menschen sei, haha). Das Thema „Ethno“ spielt bei mir seit einigen Jahren eine wichtige Rolle, eigentlich die herausragendste Rolle, weil es in diesem Bereich so wahnsinnig viel zu entdecken gibt. Viele Instrumente und Melodien klingen absolut gothic, und wenn keltische/mittelalterliche Klänge zu Metal passen, dann passen ethnische Klänge genauso, denn es sind fast die gleichen Instrumente (ob ich eine Flöte aus irischem Holz schnitze oder aus einer libanesischen Zeder dürfte kaum einen Unterschied machen). Daher werden die nächsten Jahre sicherlich alle Releases, an denen ich beteiligt bin, diese Duftmarke haben. Dr. PH. Christian Rätsch ist ein Freund von mir, mit dem ich die Leidenschaft für Ethno teile. Er in literarischer (und weitaus geistreicherer Form), ich in Punkto Musik/Ästhetik. Daher führt einfach kein Weg an einer Zusammenarbeit vorbei und er unterstützt mich immer wieder mit Schamanenaufnahmen oder Regenwaldsounds.
Squealer.net: Wenn wir uns jetzt diese beiden Kontraste, das Schwarz (die metallische Aggression) & Weiß (die ruhige Enthaltsamkeit bzw. Zerbrechlichkeit), vor Augen führen, stellen wir schnell fest, dass das eine nicht ohne das andere kann. Es braucht stets den Gegenspieler. War dies mit dem weitergesponnenen Bezug zum Weltlichen, das auch nicht nur aus Gut oder Böse besteht, so gedacht?
Stefan Hertrich: Kann man gut miteinander vergleichen ja, und du hast in der Tat die Stilfindung von SpiRitual vorm Schreiben der CD richtig aufgefasst, all das ging mir auch irgendwie im Kopf um. Die meisten spirituellen Menschen, die ich kenne – selbst renommierte Autoren oder Heiler etc. – gingen erstmal Jahrzehnte lang durch einen überdurchschnittlich großen Sumpf, sei es durch Armut, Krankheit, Kriminalität oder andere Dinge. Das „Böse“ scheint wohl gerade für solche Menschen eine Vorbereitung auf das zu sein, was man „Licht“ nennen könnte. Denn ohne Dunkelheit kann man das Licht gar nicht sehen. In der Tat wird es wohl keinen Menschen gelingen, einen der beiden Gegenspieler gänzlich aus dem Leben zu verbannen. Wenn Religionen z.B. von „Himmel auf Erden“ sprechen, meinen sie in erster Linie, dass man sich hier und jetzt sein eigenes Himmelsreich schaffen kann, indem man seine Denkweise verändert und dadurch eben das „Dunkle“ ausschaltet, indem man es anders auffasst als bisher. So sind Krankheiten nicht unbedingt ein Fluch, sondern können für den betroffenen Menschen ein Segen sein. Ich kenne viele Fälle, wo ein schlimmer Schicksalsschlag (bis hin zum Tod eines Familienmitglieds) „Sinn gemacht“ hat. Die Beschäftigung mit Esoterik hat mir wirklich sehr geholfen, das Leben in einem völlig neuen Licht zu sehen, egal was da kommen mag. Kurz und bündig: Licht und Dunkel gehören irgendwie zusammen, in der Tat, aber beide können dem Menschen hilfreich sein – so wie eine CD mit sinnlichen, aber auch brachialen Elementen einem Menschen Freude beim Hören bereiten kann.
Squealer.net: Um das Album für sich interpretieren zu können, muss man als Hörer nicht nur den Schlüssel zu den einzelnen Kompositionen finden, sondern auch eins mit sich und den 45 auf CD gepressten Minuten werden. Demnach kann man bei PULSE eher von einem Ganzen sprechen und weniger von einzelnen Teilen des Ganzen oder?
Stefan Hertrich: Ich denke auch, dass man sich das ganze Album anhören sollte, eventuell mehrmals, wenn man diese Musik nicht gewohnt ist (grinst). Wer sich dann noch für Texte interessiert, kann denke ich einiges aus dem Album rausholen.
Squealer.net: Das mikrokosmische Denken, das sich oftmals in der Szene vorfindet, könnte den intensiven Zugang zu PULSE, das weitaus mehr als ein paar nette Metallieder zu bieten hat, für viele versperren. Was meint der Komponist?
Stefan Hertrich: Klar, ich warte vergeblich auf die Interviews der großen Magazine, die mir bei Darkseed stets einen roten Teppich ausgerollt haben, um jahrelang die gleichen langweiligen Fragen zu stellen, und das dem Leser mittlerweile Jahrzehnte lang vorsetzen. Ist für mich aber okay, ich habe für SpiRitual schon viele tolle Interviews gemacht und möchte diese Erfahrung nicht missen (grinst). Den Fans ist kein Vorwurf zu machen, viele sind jung und haben im Metal noch nicht alles entdeckt, natürlich verstehe ich vollkommen, dass es dabei keinen allzu großen Drang nach „neuen Richtungen“ gibt. Aber die etablierten Magazine, die das jetzt schon seit den 80ern machen, könnten durchaus auch mal neue Impulse setzen und den Fans Alternativen aufzeigen. Ich fände es auch interessant, wenn z.B. Musiker eine Kolumne bekommen würden, um darin über Philosophie, Religion, Politik usw. zu schreiben (das sollten dann natürlich Bands machen, die sehr bekannt sind und durchaus Einfluss auf die Leserschaft haben).
Squealer.net: In deinem „Plädoyer“ am Ende des Booklets erwähnst du das Labyrinth des Metals. Wie kann man deiner Meinung nach den Ausweg aus diesem Labyrinth finden und sich für PULSE entscheiden? Ist der Markt zu übersättigt?
Stefan Hertrich: Ich denke, für PULSE kann man sich nur durch Zufall oder auf Empfehlung eines Bekannten entscheiden, denn große Anzeigen, Tourneen usw. gibt es nicht (grinst). Der Markt ist in der Tat übersättigt, verglichen mit den frühen 90ern, als ich angefangen habe, Metal zu hören. Dafür kann natürlich niemand etwas, und es gibt und sollte auch nie Richtlinien geben, wer Musik machen und veröffentlichen darf und wer nicht. Es ist nun mal so, damit müssen die Musiker und die Fans sich abfinden (auch für Fans kann das negativ sein, da sie unter Umständen nicht mehr die Leidenschaft für eine bestimmte Band entwickeln können wie noch vor 15 Jahren, als man nicht seine Festplatte mit 500 Alben vollkacken konnte). Ein Ausweg aus diesem Labyrinth ist sehr schwer zu finden, ich wüsste auch keinen. Aber so ist es mit der ganzen Welt. Es gibt von allem zu viel (sei es PC-Spiele, TV-Sender, Telefonanbieter usw.), hat aber auch Vorteile (grinst).
Squealer.net: Konzipiert für eine „stinknormale“ Bühnenperformance ist PULSE definitiv nicht. Könntest du dir dennoch vorstellen mit SpiRitual etwas „Live-haftiges“ aufzuziehen? Wenn ja, wie?
Stefan Hertrich: Cool wäre es schon. Viele Mittelalterbands kriegen das super hin, daher könnte es bei SpiRitual auch rein technisch gesehen funktionieren. Mir fehlt allerdings die Zeit und auch Live-Musiker zu finden, die sich wochenlang mit relativ schlechter Bezahlung in einen Tourbus setzen, dürfte schwierig werden. Die ganzen Flöten- und Percussionsachen können nicht viele Musiker spielen, da ist das anders als mit typischen Instrumenten wie Geige etc., die in Deutschland sehr verbreitet sind. Aber mal sehen, was 2007 so mit sich bringt.
Squealer.net: Da ich zu Beginn deine beiden anderen Projektarbeiten Banner Betray My Secrets oder Shiva In Exile genannt habe: Wird es im Gegensatz zu diesen beiden von SpiRitual neuen Stoff geben?
Stefan Hertrich: Ich arbeite gerade am zweiten Shiva In Exile Album, ein Name steht noch nicht fest. Ich würde gerne von diesem Album eine Metalversion unter dem Namen SpiRitual veröffentlichen und hoffe, dass das 2007 klappen wird.
Squealer.net: Der „große“ Joe Lynn Turner hat mir in einem Interview auf die Frage nach der Angst vor dem kreativen Ausgebranntsein gesagt, dass einen diese Angst dazu antreibt sicht stets aufs Neue zu motivieren. Wie siehst du das?
Stefan Hertrich: Angst ist die phantasievolle Vorstellung einer MÖGLICHEN Negativsituation in der Zukunft, und deswegen ist diese Situation nicht REAL – daher sind die meisten Ängste völlig sinnlos, da die Negativsituationen in der Regel nicht eintreffen, bzw. abgeschwächt eintreffen – wir Menschen neigen psychologisch gesehen dazu, Situationen pessimistischer einzuschätzen als sie dann wirklich stattfinden. Daher versuche ich, generell keine Angst zu haben, sondern eher in der Gegenwart zu leben und aus jedem Tag das Beste zu machen (sofern mich die Faulheit nicht daran hindert, haha). Ich kenne in der Tat das Gefühl des kreativen Burn-Outs. Mir tun dann nach drei Stunden Songwriting die Ohren weh und sie pfeifen, ohne dass die Musik laut war. Das Gehirn kann diese Reize dann einfach nicht mehr verarbeiten und ich muss aufhören. Ich sehe es so: Entweder dieser Burn-Out kommt oder er kommt nicht. Kommt er, muss ich halt die nächsten Tage irgendetwas anderes machen. Kommt er nicht, umso besser. Ich glaube nicht, dass ein Mensch einen generellen kreativen Burn-Out haben kann, der ihn daran hindert, nie wieder Musik schreiben zu können. Vielleicht braucht man ein paar Wochen oder Monate oder sogar Jahre Pause, aber dafür wird es dann sicherlich einen Grund geben. Vielleicht weil man in dieser Zeit etwas Neues für sein Leben entdeckt (entdecken soll).
Squealer.net: Dann bedanke ich mich vielmals für das Interview und lasse dir den Platz für die letzten Worte!
Stefan Hertrich: Das ist immer die schwierigste Frage, obwohl es keine Frage ist. Auf jeden Fall ebenfalls vielen Dank, ich wünsche allen Lesern ein erfolgreiches Restjahr 2006!
DISCOGRAPHY:
2006 – Pulse
SQUEALER-ROCKS Links:
SpiRitual - Pulse (CD-Review)
Stefan Hertrich von SpiRitual (Interview)