Squealer-Rocks.de CD-Review
Nocte Obducta - Sequenzen Einer Wanderung

Genre: Avantgarde Metal
Review vom: 02.12.2008
Redakteur: Reaper
Veröffentlichung: 05.12.2008
Label: Supreme Chaos Records



Kennt ihr das merkwürdige Gefühl wenn man spät abends vollkommen alleine im letzten Zug sitzt und einem vor dem pechschwarzen Hintergrund der Nacht aus dem Fenster nur das eigene blasse, verzerrte Gesicht entgegenlacht, wenn das Rattern der Räder auf den Schienen unnatürlich laut erscheint und man sich unvermittelt frägt, wohin diese Reise gehen mag? Es ist ein Gefühl der absoluten Einsamkeit in einem leeren Raum, der sich durch Zeit und Raum bewegt, in dem aber die Zeit selbst still zu stehen scheint. Wenn nicht im Zug, so vielleicht bei einer Autofahrt, oder auf sonstigen einsam dunklen Pfad, wird sich wohl ein jeder schon einmal diesem Gefühl gegenüber gesehen haben.
Was das alles mit dem letzten Album der legendären Nocte Obducta zu tun hat? Lasst euch einfach auf die Reise, die sie euch anbieten entführen, und seht selbst…

Mit Metal hat die Musik, die einen nahezu augenblicklich in ihren Bann schlägt, zunächst einmal über weite Strecken wenig zu tun. Viel mehr gleicht sie einem Spiel aus atmosphärischen Elementen und Elektronik, wie man es teils aus den 70ern von deutschen Bands wie Eloy oder Grobschnitt gewohnt war, aber auch bei Bands wie Moonsorrow oder Swallow The Sun finden kann. Unweigerlich schließen sich die Augen und die Gedanken werfen allerhand verstörende Bilder auf, die sich im Gleichtakt der Klänge des Albums bewegen. Ein langer dunkler Korridor, in welchem Neonröhren unbeständig flackern, erscheint vor dem geistigen Auge und verbindet sich mit dem elektrischen Zirpen, das aus den Boxen tönt und einen auf den ersten Teil der Wanderung schickt. Das Stück wird etwa zwanzig Minuten lang alleine von diesen düsteren Klängen getragen, da lange Zeit keinerlei Gesang auftritt, vielmehr schafft sich gegen Ende wie in einer Installation der Medienkunst der 80er/90er Jahre verzerrte Sprache in Form von Videobotschaftssequenzen, in denen sich die Bandmitglieder zu Wort melden, ihren Raum.
Mit einsetzendem Gesang driftet das Stück ab und an in gothiclastige Gefilde ab, was nicht zuletzt der sehr düsteren Grundstimmung zuzuschreiben ist. Wie auch bei Agrypnie, einem der vielen Fragmente, die sich nach der Auflösung von Nocte Obducta gebildet haben, jagen einem die Texte eisige Schauer über den Rücken und wecken unweigerlich den eingangs geschilderten Zustand während einer Bahnfahrt bei Nacht oder Regen, bei welcher nichts als Dunkelheit aus dem Fenster ins Innere vordringt und man nicht so recht weiß ob der Raum dahinter tatsächlich existiert oder nur einer Einbildung entspringt.

Der zweite Teil der Wanderung wirkt etwas flotter, ohne dabei an Düsternis in einem metallischen Kontext zu verlieren. Auch dieses Stück verfügt über eine schier unglaubliche atmosphärische Dichte und ist erfüllt von Thematiken wie Freude und Melancholie, Aufbruch und Verzagen. Dies alles spiegelt sich wie in den Scherben eines Spiegels in den lyrischen Texten wieder, die sich teils auf das philosophisch-theologische Thema des Weges/Lebens zu beziehen scheinen, andererseits aber eine Retrospektive der Bandgeschichte selbst darstellen, da Nocte Obducta ursprünglich als eine der Speerspizen des deutschen bzw. deutschsprachigen Black Metals gerühmt wurden, sich aber kontinuierlich bis zu einem Grad der Selbstzersetzung weiterentwickelten, so dass es vielen Fans zu viel wurde. Und mit Black Metal hat SEQUENZEN EINER WANDERUNG nahezu nichts gemein, außer einer kurzen Passage gegen Mitte des zweiten Teils, die aber sehr jäh von einem Schmerzensschrei durchbrochen wird. Ansonsten wechselt der Gesang von gothisch traurig bis hin zu Kreischen.

Nachhall: „Vielleicht gibt es auch ein Leben nach dem Tod. Wir werden es erleben.“ So heißt es gegen Ende des Albums und vielleicht ist dies auch auf die Band selbst bezogen. Nocte Obducta veröffentlichen ein Album, das einzig das Adjektiv atemberaubend verdient. SEQUENZEN EINER WANDERUNG ist wie das letzte Aufleuchten eines sterbenden Sterns, der noch einmal seine Leuchtkraft steigert, bevor er dann endgültig verlischt.

Ein heißer Anwärter auf das Album des Jahres!


Tracklist:
1. Teil 1
2. Teil 2

Line-Up:
Torsten, „Der Unhold“ Hirsch - Gesang
Marcel „Va. Traumschänder“ Breuer - Gitarre, Gesang, Keyboards
Flange - Keyboards, Gesang
Patrick Baumann - Bass
Stefan - Gitarre
Matthias Rodig – Schlagzeug

DISCOGRAPHY:

1998 – Doch lächeln die blutleeren Lippen/Begräbnisvermählung (Demo)
1999 – Lethe – Gottverreckte Finsternis
2000 – Taverne – In Schatten schäbiger Spelunken
2001 – Schwarzmetall – Ein primitives Zwischenspiel
2002 – Galgendämmerung – Von Nebel, Blut und Totgeburten
2003 – Stille – Das nagende Schweigen
2004 – Nektar – Teil I: Zwölf Monde, eine Handvoll Träume
2005 – Nektar – Teil II: Seen, Flüsse, Tagebücher
2006 – Aschefrühling (Single)
2008 – Sequenzen Einer Wanderung


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