Squealer-Rocks.de Live-Review
KISS und Cinder Road (15.05.2008, Oberhausen, Arena, maddin)

Man kann es drehen und wenden wie man will, auch der allergrößte Kritiker wird beim Thema KISS eingestehen müssen, dass man diese Band nicht mit normalen Maßstäben betrachten kann. Mal ganz abgesehen von den Verkaufszahlen und der nicht mal mehr in Superlativen zu beschreibenden Bühnenshow, spätestens wenn man kurz vor dem Einlass an der Arena zu Oberhausen entlang flanierte, konnte man ein Phänomen beobachten, das es sonst eigentlich nur im Sport gibt und an dem Psychologen ihre helle Freude haben dürften:
Gestandene Familienväter, ja sogar Großväter, kampferprobte Mütter, höchst bodenständige und rational denkende Menschen, die hart arbeiten und mit beiden Beinen fest im Leben stehen, sie alle vergessen sämtliche Regeln des Erwachsenseins. Sie legen Kriegsbemalung an, kaufen sich T- Shirts zu überhöhten Preisen, lassen sich stundenlang bei unerträglicher Hitze wie Kühe auf dem Weg zum Schlachthof in Absperrgitter pferchen und brüllen dann im Chor mit all den anderen geistig Entschwebten den höchst philosophischen Satz „I Wanna Rock'n'Roll All Nite and Party Every Day“.
Tja, bei diesem Szenario - das sich übrigens weltweit überall dort ereignet, wo vier geschminkte Herren aus New York ein Gastspiel geben -, da fragt keiner mehr nach Logik.
Der Schreiber dieser Zeilen übrigens auch nicht, der sich bei der Redaktion mindestens eine knappe Woche Abstand erbeten hat, um seine Kritik zu verfassen. So viel Zeit braucht der handelsübliche Fan nämlich, um seinem verwirrten Hirn zumindest ein paar Kritikpunkte zu erlauben, damit wir unter dieses Review später mal schreiben können: „Na, zumindest hat er versucht, objektiv zu sein.“

Wie schwer die Begriffe KISS und Objektivität unter einen Hut zu bringen sind, musste die Support Band Cinder Road schmerzlich am jugendlichen Leib erfahren. Die wenigen Fans, die während der Performance nicht in den Umgängen der schmucken Arena standen und fachsimpelten, sondern in der Halle geblieben sind, spendeten zwar freundlich Applaus, guckten aber nach jeder Nummer nervös zur Uhr. „Wie lange noch...?“
Die Burschen waren mit ihrem modernen Rock a la Nickelback incl. leichtem Punk Einschlag allerdings auch völlig deplatziert und wären besser zur Eins Live Kinder - Party gefahren. Richtig peinlich wurde es dann, als die Jungs mit aller Gewalt Stimmung erzeugen wollten und den ollen Billy Idol Gassenhauer „Rebel Yell“ zum Besten gaben. Wirklich originell.
Wer sucht denn immer solche Vorgruppen aus? Denn das man als Support von KISS nicht zwangsläufig auf die Schnauze fallen muss, haben 1996 Die Ärzte bewiesen, die Abend für Abend mächtig abgeräumt haben.

Schwamm drüber, der Wecker zeigt 21.20 Uhr und vom Band dröhnt „Won't get fooled again“ von den mächtigen WHO, welches uns im Zugabenblock in Medley Form noch einmal wieder begegnen sollte.
Jeder – na, zumindest fast jeder – wusste, dass nun gleich das Saallicht erlöschen würde, was nach einer gefühlten Ewigkeit dann auch passierte und im Auditorium eine regelrechte Eruption auslöste.
Meine Herren, so einen Lautstärkepegel bei diesem Altersdurchschnitt erlebt man sonst höchstens noch bei Status Quo in ihrer englischen Heimat.
Dann gab's den üblichen Einstieg:
Vorhang mit Logo drauf, die berühmteste Ansage der Welt („You Wanted The Best, You Got The Best. The Hottest Band In The World... KISS!!!“), die selbst beim bloßen Niederschreiben eine Gänsehaut auslöst, mehrere Megatonnen detonierenden Sprengstoffs, Blitze und Flammen, fallender Vorhang, das übliche Eröffnungsriff von „Deuce“ und die Band schwebte auf einer Plattform von der Decke in Richtung Erde (so manch einer behauptet allerdings steif und fest, sie kämen direkt aus dem Weltall).

Was dann folgte, kann entweder nur mit dem Wort Gigantomanie oder einer sich ständig wiederholenden Aneinanderreihung von Superlativen, die man zudem vorher noch erfinden müsste, beschrieben werden. Im Sinne der angestrebten Objektivität drücke ich es einfach mal mit dem schön antiquierten Satz „Es war der Beginn einer rauschenden Ballnacht“ aus.
Klar, die Erwartungen waren hoch, zumal die Herren Simmons und Stanley keine Gelegenheit auslassen darauf hinzuweisen, dass es auf diesem Planeten nichts größeres als KISS gibt. Doch selbst Uralt Fans, die ja nun schon einiges gewöhnt sind, müssen angesichts dieser einmaligen Show den Hut ziehen.
Sicher, die meisten Gimmicks sind bekannt und ich behaupte mal kackfrech, dass sie auf der Reunion Tour noch einen Tick spektakulärer waren.
Aber: Es gibt keine Band, die auch nur annähernd eine vergleichbare Performance bieten kann.
Sie haben also Wort gehalten und wirklich alles in Schutt und Asche gelegt.
Und: Sie haben uns diesmal vor grausigen 3- D Effekten verschont!!

Mehr braucht und kann man zur Show kaum sagen, dass kann man sich besser alles auf den zahlreichen Bildern im Netz anschauen.
Bleibt also die musikalische Seite dieses denkwürdigen Abends. Im Vorfeld war bereits bekannt, dass sie die komplette „Alive“ spielen werden, was natürlich hauptsächlich den Hardcore Fans runter ging wie Öl. Die Vorfreude, Klopper wie „Hotter Than Hell“ oder „Got To Choose“ noch einmal livehaftig zu hören, war dementsprechend und erhielt sofort einen gewaltigen Dämpfer, womit wir beim einzig wirklich massiven Kritikpunkt wären.
Bei „Deuce“ war der Sound noch weitgehend in Ordnung. Etwas leise vielleicht, aber gut, „kann ja noch werden“, denkt man sich.
Gene's Gesang wirkte druckvoll und schön aggressiv. Überhaupt wirkten er und auch Mr. Stanley das ganze Konzert lang überaus agil – von Altersträgheit keine Spur. Doch dann bei „Strutter“ der Schlag in die Fresse: Paul's Stimme war quasi nicht zu hören! Gelegentlich konnte man ein paar Worte vernehmen, doch insgesamt klang das so, als wenn man mit jemandem über Handy telefoniert, der in einem Funkloch steht. Und es wurde den ganzen Gig über kaum besser! Umso ärgerlicher, da in den wenigen klaren Momenten deutlich zu erkennen war, dass Paul gesanglich an diesem Abend wirklich gut drauf war.
Welche Idioten sitzen da am Mischpult?? Die kriegen einen Haufen Knete, der nicht zuletzt aus unseren Eintrittsgeldern stammt und liefern eine dermaßen schlechte Arbeit ab, für die jeder normale Malocher längst gekündigt worden wäre.
Das die Arena zudem eine sehr gut zu beschallende Halle ist, hat man unlängst bei The Who und Rush gesehen, deren Musik um einiges komplexer ist, und rückt diese unfähigen Techniker noch weiter ins schlechte Licht (wie man hört, soll es in München sogar noch katastrophaler gewesen sein).

Gut, kommen wir also wieder zu angenehmeren Dingen, wie beispielsweise der Spieldauer. Exakt 2 Stunden und 15 Minuten waren es. Abgesehen von der „Animalize“ Tour 1984, als man ein Led Zeppelin / Hendrix / La Bamba... Medley als Zugabe zockte, wüsste ich nicht, dass die Band jemals ein so langes Set gespielt hätte.
Als der „Alive“ Part nach 90 Minuten endete, hatte ich mit 1- 2 Zugaben gerechnet. Doch ganze 6 Klassiker – nebst dem angesprochen THE WHO Tribute – wurden geboten und die Stimmung im Publikum erreichte nun endgültig ihren Höhepunkt. Denn gerade viele der weiblichen Besucher – so war es zumindest bei meinen beiden Begleiterinnen – warteten sehnsüchtig auf Hits wie „Lick It Up“ oder „Love Gun“, fanden sie die sehr harte Ausrichtung der ganz alten Songs auf Dauer doch etwas ermüdend. So wurde also bis zum grandiosen Schlusspunkt „Detroit Rock City“ noch einmal 45 Minuten lang geklatscht, gebrüllt, gesungen, getanzt und zwar bis unters Dach. Endlich wurde auch der Sound zumindest ein wenig erträglicher.
Einziger Minuspunkt hier: Genes Flug - und Blutspuckeinlage wurde in das mäßige „I Love It Loud“ eingebettet, während der legendäre „God Of Thunder“ diesmal überhaupt nicht auf der Bildfläche erschien.

OK – den hören wir dann im nächsten Jahr. Oder sollte der gute Paul etwa nicht die Wahrheit gesagt, haben? „See You Next Year“ , das waren seine Worte, ich habe 12.000 Zeugen.
Von denen würde garantiert jeder einzelne wieder dabei sein, denn trotz der erwähnten Tonprobleme war dies nicht einfach nur ein Konzert, das man als Highlight bezeichnen kann; es war ein unvergleichliches und unvergessliches Erlebnis!
Ich freue mich also auf den Mai 2009 in Oberhausen und da gibt’s dann die komplette „Alive II“ plus mindestens 10 Zugaben. Und statt einer Vorgruppe wird das cineastische Meisterwerk „Kiss Meet The Phantoms At The Park“ gezeigt.

Setlist:
Deuce
Strutter
Got to Choose
Hotter Than Hell
Firehouse
Nothin' to Loose
C'mon & Love Me
Parasite
She + Thommy Thayer Solo
Watchin' You
Rock Bottom
100.000 Years + Eric Singer Solo
Cold Gin
Let Me Go, Rock & Roll
Black Diamond
Rock and Roll all Nite
Shout it out Loud
Lick it Up / Won't get Fooled Again
Gene Solo + I Love it loud
I was made for lovin' you
Love Gun
Detroit Rock City