Atreyu und Still Remains (27.11.2007, Stuttgart, LKA Longhorn, Jack)
Konzerte an Montagen sind so eine Sache. Insbesondere dann, wenn die veranstaltende Location so platziert ist, dass man sie ohne Auto erst gar nicht erreichen kann. Den Schreiber dieser Zeilen hält dies jedoch nicht davon ab, beim Stuttgart-Konzert der Amis von Atreyu, die ihr im August dieses Jahres erschienenes Album LEAD SAILS PAPER ANCHOR promoten, anwesend zu sein. Lest hier die Eindrücke, die bei nahezu allen knapp 300 Besuchern des LKA Longhorns nicht oder zumindest kaum anders aussahen.
Aber der Reihe nach. Auch bei einer geschätzten Außentemperatur von 0 Grad Celsius und vielen Fans, die sich leicht bekleidet den Allerwertesten (wenn nicht noch viel mehr) abfrieren, sieht es der allgemeine Schwabe natürlich nicht ein, den im Stuttgart-Wangener Industriegebiet gelegenen Laden, namentlich LKA Longhorn, die Location schlechthin für mittelgroße Acts, aufzuschließen… man könnte ja auch das ein oder andere nicht bereits fest verbuchte Bier verkaufen. Na ja, sei’s drum. Am Kartenschalter schnell meine Lacuna Coil Pressekarte abgestaubt (warum man mir auch immer solch eine Karte in die Hand drückte) und nichts wie rein in die gute großräumige Stube.
Diese wird dann auch pünktlich um 20:30 Uhr von der schwedischen Nachwuchshoffnung Engel (nicht mit der unsäglichen deutschen Industrial-Blech-Truppe verwechseln), die mal abgesehen von den „beautiful German girls“ nur eines vorhaben; und zwar die Metal-Welt im Sturm zu erobern. Dass sie das Zeug dazu haben, das steht außerhalb jeder Fragestellung. Frontakrobat Mangan Klavborn zeigt derweil, in welchem Land die Meister der Posen geboren werden… im Norden haben die auch sonst nichts zu tun. Aber auch das Auftreten des Rests der Truppe lässt sich showtechnisch allemal sehen. Klar, mit Marcus Sunesson (Ex-The Crown) und Michael Hakansson (Ex-Evergrey) befinden sich nur gestandene Musiker im Line-Up der Senkrechtstarter, die allesamt wissen, wo der beschwipste Bauer den Most holt. Im Falle unserer Engel nämlich im modernen Melodic Death Metal Terrain, das von so klangvollen Namen wie In Flames, Soilwork und den elektronisch noch einen Schritt weitergehenden Pain besetzt wird bzw. auch wurde (wenn man sich die letzten Veröffentlichungen der Erstgenannten noch mal zu Gemüte führt). Alles in allem ein kurzer und bündiger 30 Minuten-Auftritt einer topmotivierten Band, die das Potenzial nach ganz oben zweifelsohne besitzt. Das Stuttgarter Publikum haben sie auf jeden Fall von sich überzeugt. Behaltet das mal im Gedächtnis.
Zehn Minuten Umbau und weitere 35 Minuten auf die Schnauze… OK, ganz so wild sind die aus Grand Rapids stammenden Mannen von Still Remains, die seit Kürzestem nun auch von Roadrunner Records vertrieben werden, nun auch wieder nicht drauf. Selbst wenn der Gummiball und nebenberuflich auch als Sänger arbeitende T. J. Miller und seine Sippschaft ihrem Stil den klangvollen und auch wieder nichts sagenden Namen „Christcore“ verpassen, geboten bekommt man von den Sechs letztlich eine sehr gewöhnliche Mixtur aus altbekannten Setzkastenstücken. Schöner, aggressiver Metalcore und die dazugehörenden Schreiorgien auf der einen Seite und fröhlichen Pop Metal der Marke Fall Out Boy und Konsorten auf der anderen Seite. Nichts Weltbewegendes, aber schön zu hören, dass solche Bands es immer schaffen, einige Highlights zu komponieren. Noch habe ich mir keine feste Meinung zu Still Remains gebildet. Was allerdings die Retro-Keyboards im Opener sollten, das wollen wir an dieser Stelle nicht weiter vertiefen…
Kurz nach 22 Uhr dürfte der letzte gutgläubige Staatsbürger erkannt haben, dass das Protzen im Rock’n’Roll Business genauso wichtig ist wie das unverschämte Sich-Fallen-Lassen im Fußball. Zeigt her, was wir haben, dachte sich nämlich auch der Schlagwerker und für die klaren Gesänge Zuständige Brandon Saller, als er seine drei (!!!) Bass-Drums auf die Bühne schleppen ließ. Nach einer hervorragenden Veröffentlichung wie LEAD SAILS PAPER ANCHOR darf man auch mal ein bisschen klotzen, nach dem ersten Song die Nasenschleimhäute auf der Bühne verteilen (Hallo, Marc) und die Bretter in einer Gruppendynamik bearbeiten, wie man das in den Achtzigern lediglich von den Hard Rockern im Bezug auf Groupies kannte. Aber noch mal einen kleinen Schwenker zurück: „erster Song!“ Ja, Atreyu kennen keine Gnade und feuern sofort mit einem der gefährlichsten Geschosse der Bandgeschichte auf die mosh-wütigen Massen, die bereits die beiden Support-Acts (hört sich einfach besser an als „Vorgruppen“) frenetisch abgefeiert haben, „Bleeding Masacara“: Messerscharfe Soli, tollwütige Growls vom an einer Erkältung leidenden Alex Varkatzas und zuckersüße Gesänge. Atreyu-Herz, was willst du mehr? Viel mehr! Dafür sorgen natürlich die, vom Publikum bereits artig auswendig gelernten, neuen Smasher, die da lauten: „Becoming The Bull“, „Doomsday“, „Lose It“ und „Blow“ (was ein Rock’n’Roll-Partykracher). Vor der Stage steht da keiner still; darauf schon zweimal nicht. Posen und Gas geben um jeden Preis heißt die Devise der Kalifornier, die an jedem anderen Wochentag wahrscheinlich 200 Leute mehr ins LKA gelockt hätten…
Den Anwesenden stößt der vorhandene Luftzug hinter ihnen jedoch nicht bitter auf. Vorne spielt bekanntermaßen die Musik… und die spielt heute verdammt schnell. Ob „Right Side Of The Bed“, „Lip Gloss And Black“ (der Klassiker der SUICIDE NOTES) oder die beiden A DEATH-GRIP ON YESTERDAY Kracher „Untitled Finale“ und „Ex’s And Oh’s“, in diesem einstündigen Set fehlt nichts, aber auch (angefangen beim drückenden, sehr gut gemischten Sound) gar nichts… auch wenn den Gesangskünstlern am Ende spürbar die Luft ausgeht. An 60-minütige Headliner-Shows muss man sich eben gewöhnen…
Kurzum: Ein exzellenter Konzertabend mit ordentlichen Anheizern und einem Hauptact in Bestform. Sauber!
Und auch mit drei Bass-Drums, die mit dem entsprechenden Atreyu-Logo verziert wurden, dürfen wir nicht verschweigen, dass diese Jungs noch immer auf dem Teppich geblieben sind und noch immer verdammt glaubwürdig und ehrlich sind!
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