Squealer-Rocks.de Live-Review
Riverside und Jolly (30.03.2013, Substage, Karlsruhe, Reaper)

Es ist kalt an diesem 27. März. Unnachgiebig bläst ein eisiger Wind durch die Straßen, die grau und verlassen daliegen. Die einzigen Farbschimmer dieses spätwinterlichen Tages stellen die Rücklichter der Autos dar, die sich durch den zähen Stadtverkehr quälen.
Langsam senkt sich die Dunkelheit über die Stadt und stetig strömen Menschen auf des alten Schlachthofs Gelände in der südlichen Oststadt, dem Substage zu. Aus dem stuttgarter Raum kommen einige und selbst einige Franzosen lassen sich in der buntgemischten Menge ausmachen. Denn eines fällt schon vorher auf – das Durchschnittsalter heute Abend dürfte bei geschätzten 40 liegen. Viele ergraute Häupter zeigen sich in der ersten Reihe.
Nur, was treibt die Menschen an solch einem unwirtlichen Abend hinaus?
Es sind Riverside, die sich auf ihrer „New Generation“ Tour die Ehre geben und zu einem Gastspiel die baustellengeplagte Fächerstadt kommen.

Kurz nach acht ist es dann so weit und die erste Band des Abends betritt die Bühne. Dianoya stammen ebenso wie der Hauptact des Abends aus unserem östlichen Nachbarland, Polen. Drei Musiker, Schlagzeuger, Bassist und Gitarrist betreten die Bühne und beginnen das Set mit einem ausladenden Instrumental, das doch recht elektronisch im Klang anmutet. Das ist für eine erste Vorband mutig und wird mit Applaus vom Publikum belohnt. Nach diesem Auftakt betritt Sänger Filip Zieliński die Bühne und nimmt seinen Platz am verwaisten Mikrophonständer ein. Lässig stellt er ein „Guten Abend“ in den Raum. Ebenso nonchalant schwingt er eben jenes während der Dauer des Auftritts. Das Quartett bietet den bereits zahlreich erschienen Zuschauern ein abwechslungsreiches Potpourri aus diversen Gangarten des progressiven Metals mal düster im besten Swallow The Sun Stile wie „Dreamlack“ vom Debütalbum „Obscurity Divine“, gehüllt in blaues Scheinwerferlicht. Ob nun „Cold Genius“, „Far Cry“ oder „Good Things Come After A While“ vom aktuellen Album “Lidocaine”, jedes Stück ist temporeich und vielschichtig, zugleich aber nicht über Maßen komplex. Selbst als Filip das härteste Lied für den heutigen Abend ankündigt, rockt dieses noch immer sehr entspannt. Nach diesem überzeugenden Auftritt sollte man Dianoya unbedingt auf seinem musikalischen Radar behalten.

In Rekordzeit wird der Umbau vollzogen und schon betreten die New Yorker, Jolly, die Bühne. Der erste Eindruck täuscht hier ein wenig, Sänger Anadale wirkt mit seinem komischen, federbestückten Hut, dem Jackett und Cayal um die Augen etwas alternativ – und zugegeben das x-beinige Wippen auf den Zehenspitzen am Mikrophonständer verstärkt diesen Eindruck noch. Musikalisch bieten die Amerikaner eine Mischung aus stimmungsvollen Syntiklängen und martialisch prolligen Hardcore Elementen, so dass man fast versucht ist von Progressive Metalcore zu sprechen. Mit „Joy“ vom aktuellen Album „The Audio Guide To Happiness (Part 2)“ zaubern Jolly ein leicht poppig angehauchtes Stück auf die Bühne, welches aus den restlichen Liedern des Sets herausragt wie eine Insel aus den Weiten des Meeres. Gegen Ende des Auftritts bedankt sich Schlagzeuger Louis Abramson für die Unterstützung der Fans, die ihnen diese Tour mit Riverside, was an sich schon eine Ehre darstelle, erst ermöglicht hätten, da sie der Wintersturm „Sally“ an der Ostküste der USA erwischt hatte und er selbst seine Wohnung verloren hätte.

Die Zeit vergeht wie im Fluge und ebenso geschwind verschwindet das Handwerkszeug der Vorbands von der Bühne, bis der Blick frei ist auf das mächtige Schlagzeug von Piotr Kozieradzki, welches wie eine Festung über der Szenerie thront. Und auch die Keyboards in der rechten, vorderen Ecke gleichen in ihrem Arrangement einer Burg, geziert von einem roten Wackel-Bibo. Die Spannung wächst, während die Roadies die letzten Handgriffe erledigen und das Publikum vor die Bühne drängt.
Schließlich wird es dunkel und Riverside betreten unter Applaus die Bühne und der Rest ist Geschichte - Proggeschichte. Ohne Umschweife beginnen sie ihr Set mit den ersten Stücken des neuen Albums „Shrine Of New Generation Slaves“. Das Wortgewaltige „New Generation Slave“ wird gefolgt von den fulminanten „The Depth Of Self-Delusion“ und „Feel Like Falling“.
Und doch ist es einmal mehr nicht alleine die musikalischen Spitzenklasse, die diesen Abend zu etwas ganz besonderen macht, wie auch einige Jahre zuvor – damals noch in der alten Fußgängerunterführung unter der Kreuzung am Ettlinger Tor – ist es diese ganz besondere Magie, welche sich bereits während der Eröffnungsnummer entfaltet. Einzig ein einzelnes Spotlight erhellt die sonst dunkle Bühne. Rauch aus der Nebelmaschine wabert durch die Luft und je nachdem in welchem Winkel man zur jenem einsamen Licht steht, scheinen Mariuszs Haare wie ein silberner Kranz zu leuchten. Eine Prog-Ikone im wahrsten Sinne des Wortes.
Hernach begeben sich Riverside auf einen Ausflug zum Vorgänger, 2009 erschien, „Anno Domini High Definition“ und der 2011er EP „Memories In My Head“, über die Mariusz Duda sagt, dass es sich dabei um eines der wohl längsten Rocklieder aller Zeiten handeln würde.
Gegen Ende des Sets verkündet er vergnügt, dass es an der Zeit wäre für ein bekanntes Spiel zwischen Band und Publikum – ein Sing-along. Anschließend ist es Zeit für den zweiten Teil der neuen Generation mit „We Got Used To Us“. Unter den finalen Klängen von „Escalator Shrine“ verlässt das Quartett zum ersten Mal die Bühne.
Der Applaus ist tosend und verebbt erst, als bereits die Zugabe gespielt wird – noch zweimal werden Riverside die Bühne verlassen und unter minutenlangem Beifall und fortgesetztem o-oooo-oooo… erneut zurück kehren und noch einige Klassiker wie „Conceiving You“ von „Second Life Syndrom“ im Petto haben.

Noch lange klingen die Lieder im Kopf nach, selbst dann noch als man längst im Bett liegt.