Squealer-Rocks.de Live-Review
KISS und Five And The Red One (03.06.2010, Oberhausen, Arena, maddin)

Im Vorfeld der „Sonic Boom Over Europe“ - Tour gab es, aus markttechnischer Sicht, recht wundersame Dinge zu beobachten. Der Vorverkauf startete wie gewohnt furios und bereits nach wenigen Stunden waren die besten Plätze weg. Doch wer sich nun auf den Hype von 2008 verließ und darauf spekulierte, dann eben bei den Zusatzshows Tickets in den besten Kategorien zu ergattern, der sah sich verlassen: Kein einziger Gig in Europa konnte frühzeitig „Sold Out“ vermelden, was bei der „Alive 35“ Gastspielreise nur eine Frage von Stunden war.
Da musste schon ein Auftritt bei Germany's - Greatest - Spießer - Show „Wetten, dass...“ her, um die restlichen Karten an den Mann zu bringen.

Die Gründe hierfür sind schnell gefunden: 2008 bestand ein recht hoher Prozentsatz des Publikums aus Leuten, die von KISS gerade einmal „I was made...“ kennen und nicht wegen der Musik gekommen sind, sondern weil sie „dabei sein“ wollten.
Menschen mit dem „Gutenberg – Syndrom“, höchst wissenschaftlich auch Event - Publikum genannt. Dass sie dann allerdings gute 2 Stunden auf „ihr“ Lied warten mussten und bis dahin die recht harten und wenig massentauglichen Frühwerke aus den 70ern ertragen mussten, hat die vereinte Gemeinde der „Ha, Ha – guck' mal der mit der langen Zunge sieht ja lustig aus“ - Ahnungslosen dann doch wenig entzückt.
Die gehen in Zukunft wieder zu AC/DC....

Der Stimmung in der - wie immer hervorragend klimatisierten - Arena zu Oberhausen kam dieser Umstand natürlich nur zugute. Die Reaktionen des textsicheren Fachpublikums schwankten zwischen begeistert und euphorisch, wovon die Support Band Five and The Red One freilich kaum profitieren konnte.
An der musikalischen Klasse der Jungs lag es sicherlich nicht. Ihr Gemisch aus Hardrock und Alternative läuft recht gut ins Ohr, allerdings nicht eine Stunde vor KISS.
Wann kapieren es die Organisatoren endlich, dass im Vorprogramm solcher Legenden nur Truppen punkten können, die ebenfalls über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügen? (Keel oder Ratt wären sicherlich eine gute Wahl gewesen)

Um kurz vor 21 Uhr (der Support musste bereits um viertel vor acht auf die
Bretter) stieg die Spannung dann ins Unermessliche, die ersten Sprechchöre hallten durch das schmucke Rund und der Jubel, als das Saallicht erlosch, war wirklich ohrenbetäubend laut.
Wie es sich für KISS gehört, ist bereits der Beginn ihrer Show eine Inszenierung voller Perfektion.
Über die Leinwände konnte man die Fab Four aus New York beim Gang zur Bühne beobachten, von deren Rückfront sie dann mittels Hebebühne über das Drumkit hinweg direkt an den vorderen Rand der Stage gehievt wurden.
Das Backdrop bestand aus einem riesigen Screen und selbst die Monitor Boxen verwandelten sich in kleine Bildschirme. In der Tat: KISS hatten showtechnisch im Vergleich zu 2008 echt noch eine Schippe draufgelegt.

Der überraschende Einstieg war „Modern Day Delilah“ vom aktuellen Output, der noch mit 2 weiteren Tracks bedacht wurde. Während „Say Yeah!“ - trotz Texthänger von Paul Stanley - überzeugen konnte, fragt man sich aber, weshalb es mit „I'm an Animal“ ausgerechnet der schwächste Song von „Sonic Boom“ in die Setlist geschafft hat.
Über die Stimme von Paul wurde im Vorfeld ebenfalls viel diskutiert. Seine desolate Vorstellung bei „Wetten, dass...“, sowie einige gekürzte Gigs und seine seltsame Anwandlung, nur noch vermummt aus den Hotels zu stürmen, ließen nichts Gutes erahnen.
Doch im Großen und Ganze konnte unser Starchild überzeugen. Allerdings darf man seine Gesangsleitung nicht mehr mit der von vor 15 Jahren vergleichen. Umso mutiger, dass man dennoch Tracks wie „Crazy Nights“ mit ins Programm aufgenommen und lediglich bei „God Gave Rock'n'Roll to You II“ Samples eingesetzt hat.

Mr. Simmons plagen ob seines eh limitierten vokalen Umfangs solche Sorgen nicht. Man ist dennoch immer wieder erstaunt, wie der mittlerweile 60 – jährige es schafft, eine derartige Show durchzustehen. Denn bei KISS steht niemand auf der Bühne und glotzt seine Gitarre an. Jede Minute, jede Sekunde wird zur Inszenierung genutzt. Es gibt definitiv keine andere Band, die ihren Fans mehr Gegenwert fürs Geld bietet. Entertainment im Wortsinn!
Die beiden Angestellten Eric Singer und Thommy Thayer bieten ihren Chefs genau das richtige musikalische Fundament, werden aber immer mehr in die Show mit einbezogen.
Thommy singt „Shock Me“, natürlich incl. Solo mit ballender Gitarre, und duelliert sich dabei mit Eric Singer in luftiger Höhe.
Der wiederum singt überzeugend „Black Diamond“ und darf schließlich sogar das Peter Criss Heiligtum „Beth“ in einer Akustik - Version intonieren. Sehr schön und sehr ergreifend, wirklich.

Der Sound in der Halle war dieses Mal zumindest akzeptabel, wenn auch um Längen zu leise, und ab und an etwas zu verwaschen – aber wir sind ja nicht bei Rush und wollen daher nicht meckern.
Nee – es gibt echt nix zu meckern. Die Band wirkte im Vergleich zu 2008 wesentlich spielfreudiger die Show war besser, die Setlist ebenfalls und von der gut zweistündigen Spieldauer können hunderte andere, wesentlich jüngere, Bands nur träumen.
In dieser Form kann man wirklich hoffen, KISS vielleicht in 1- 2 Jahren doch noch einmal live zu sehen (dann aber bitte mit „Creatures of the Night“ und „Raise Your Glasses“ im Programm).
KISS haben mal wieder allen gezeigt, wie es die großen Jungs machen...

Setlist:
Modern Day Delilah
Cold Gin
Let Me Go Rock `N` Roll
Firehouse (Gene spuckt Feuer)
Say Yeah
Deuce
Crazy Crazy Nights
Calling Dr. Love
Shock Me (Double Solo Eric und Tommy)
I´M An Animal
100,000 Years
I Love It Loud (Gene spuckt Blut)
Love Gun
Black Diamond
Detroit Rock City

Encore:
Beth (Acoustic Version)
Lick It Up
Shout It Out Loud
I Was Made For Lovin' You (Paul fliegt)
God Gave Rock And Roll To You II
Rock And Roll All Nite